Gott Und Die Welt Die Zeit der guten Vorsätze ist gekommen

Gute Vorsätze sollen nach Nestroy grüne Früchte sein, die abfallen, ehe sie reif sind. Stimmt das? Unbedingt.

Der häufigste Gast auf unseren Silvesterpartys dürfte auch in diesem Jahr wieder der gute Vorsatz sein. Tage zuvor schon hatte er sich angekündigt und mehr und mehr Gestalt angenommen, bis ihm leichtfertig zugesagt wurde, seinen großen Auftritt um zwölf Uhr in der Nacht des Jahreswechsels zu haben. Das Angebot ist reichlich, denn es gibt immer Gründe zur Veränderung, Verbesserung und Umkehr — also: keinen Alkohol mehr trinken; oder weniger Kaffee, und wenn Kaffee, dann nicht mehr schwarz; dafür dann mehr Mineralwasser — 2,7 Liter pro Tag Minimum; mehr Fahrrad statt Auto fahren; beim Zahnarzt endlich einen Termin vereinbaren, immer gut: weniger rauchen, besser noch; gar nicht mehr rauchen, unterm Strich also: nur noch Menthol-Zigaretten rauchen; und überhaupt: abnehmen, abnehmen, abnehmen.

Das sind Lebensentscheidungen auf einer Projektionsfläche, viele kleine Märchen, die besonders prächtig vor ihrer Verwirklichung funkeln. Vorsätze bestechen durch ihren futuristischen Charakter, sie sind Vorwegnahmen und nur Vorstellungen einer Wirklichkeit, die es so nicht geben wird. Zu keinem anderen Zeitpunkt des Jahres wechselt das Leben so oft in den Options-Modus wie zu Silvester. So ist das neue Lebensjahr in diesem frühen Stadium noch eine Art Kunstwerk, rein und unschuldig. "Das neue Jahr hat so lange eine weiße Weste, bis man sie anzieht", meinte Hans Fallada. Sein Bruder im Geiste heißt Johann Nestroy mit dieser kleinen Poesie des Scheiterns: "Gute Vorsätze sind grüne Früchte, die abfallen, ehe sie reif sind." Wichtig beim guten Vorsatz ist seine Inszenierung in der Neujahrsnacht. Das kann der eigenen Absicherung dienen: Denn indem ich auf einer Party mein Vorhaben verkünde, erhöhe ich die Zahlen der Zeugen und kräftige damit die Sozialkontrolle für mein Tun. In den meisten Fällen aber ist der Vorsatz zur Mitternacht bloß eine Maskerade, ein kleines Bühnenstück, in dem wir uns zum Helden machen und etwas später auch noch als gefallener Held passabel dastehen. Weil das Scheitern das Lebenselixier guter Vorsätze ist. Ein tatsächlich geglückter Lebenswandel wäre unweigerlich das Ende aller Vorsätze. Denn sie sind ja keine Art Besserungsanstalt; ihre Existenz dokumentiert unsere Unzulänglichkeit. Der Vorsatz ist also zutiefst menschlich. Was tun? Ruhe bewahren und nach Henry David Thoreau eine Nummer kleiner handeln: "Ein neues Leben kannst du nicht anfangen, aber täglich einen neuen Tag."

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(RP)
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