Gott Und Die Welt Die Nachbarn sind die Entdeckung des Frühlings

Ist der Winter überstanden, kehren sie als Vorboten der freundlichen Jahreszeit wieder zurück an den Gartenzaun: die Nachbarn.

Natürlich war dieses Ereignis auch noch am Frühstückstisch der Rede wert – also jene unverhoffte und unerwartete und darum auch spektakuläre Begebenheit vom Vortag: Wir haben die Nachbarn entdeckt! Genauer gesagt, wir haben sie wiederentdeckt, denn es sind die gleichen wie aus den Jahren zuvor, nur waren sie mit Einbruch beziehungsweise Ausbruch des Winters gänzlich von der Bildfläche verschwunden, also vom Gartenzaun, an dem es sich über Gott und die Welt so gut plaudern lässt wie an keinem anderen Ort.

Kaum etwas kündet vom Frühling derart überzeugend wie das Auftauchen der Nachbarn. Sie sind die Vorboten des Sommers, ein Versprechen auf wieder warme, lebensfreundliche Monate. Die Nachbarn sind der Beweis, dass es eine Zukunft gibt, und wenn sie fragen, ob wir für die kommenden fünfeinhalb Wochen die äußerst sensible Orchideensammlung fachgerecht versorgen und viermal am Tag mit dem leider dann doch mittelschwer verhaltensgestörten Kampfhund eine schöne große Hunderunde drehen, so macht uns das doch überhaupt nichts aus; schließlich ist der nachbarschaftliche Freundschaftsdienst eine Erinnerung an die eigene bevorstehende Sommerfrische. Und überhaupt, wenn die Nachbarn nicht wären . . .

Gemach, gemach, hieß es mitten im hymnischen Wortschwall von der anderen Seite des Brotkorbs. Und was ist mit dem im vergangenen Jahr von den Nachbarn angeschafften Frettchen, das in wenigen Nächten für reichlich Platz im Kaninchenstall sorgte? Und mit dem Rasenmäher – einem Aufsitzer von veritabler Größe –, der stets am sehr späten Samstagnachmittag zum Einsatz kommt?

"Aber genau das ist doch der Sound des Sommers!", hörte ich mich zu meiner eigenen Überraschung rufen. Während zeitgleich das Gehirn angestrengt nach einer ähnlichen Schönrednerei für den wirklich miesen Karnickelmord Ausschau hielt. Da partout nichts in Sicht kam, bat ich einfach um das Marmeladentöpfchen neben der halbfetten Margarine. Man muss nicht auf alles eine Antwort haben. Wozu gibt es Bücher? Und jetzt sogar das Langenscheidt-Wörterbuch Nachbar – Deutsch, Deutsch – Nachbar. Eine ganz wichtige, bislang völlig unterschätzte Übersetzungshilfe. Ein Beispiel? Sagt der Nachbar zum Nachbarn: "Ihr Hund freut sich sicher schon über etwas mehr Grün zwischen unseren Gärten." Auf Deutsch heißt das: "Und wir uns erst, wenn sich die kleine Töle darin stranguliert."

Man lernt darin viel über all die Schwächen der Mitmenschen, über deren Unaufmerksamkeiten und bedauernswerte Eigenarten. Aufgefallen ist uns am Frühstückstisch aber auch das noch: Nachbarn sind immer die anderen.

Ihre Meinung? Schreiben Sie unserem Autor: kolumne@rheinische-post.de

(RP)
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