Gott Und Die Welt Der Advent im Banne der gemeinen Lichterkette

Mit der Erfindung des Adventskranzes durch Johann Hinrich Wichern nahm alles seinen Anfang: jene Lichtmetaphorik, die bis heute immer ausschweifender geworden ist.

Johann Hinrich Wichern ist an allem schuld — an den bunten Lichterketten, die hierzulande gefühlt seit Mitte November in großzügiger Verwendung aus langweiligen Reihenhäusern kleine Disney-Tempel zaubern. Manchmal verwandeln sich die Wohnstätten aber auch in Spielcasinos — insbesondere mit den flackernden Sternkränzchen. In der Mitte beginnen sie zu leuchten und legen dann Kreis um Kreis und Farbe um Farbe zu. Bis alles mit einem Schlag erlischt, um sogleich farbenfroh aufs Neue zu beginnen. Zucksonnen haben wir sie einmal genannt, was genauso wenig adventlich ist wie diese Art der Zierde in Disko-Format. Eine Zeit lang waren auch kletternde Weihnachtsmänner in Mode, die an Hauswänden und auf Dächern montiert wurden und uns die Geschichte vom dicklichen Geschenkebringer erzählten. Manche wurden einfach vergessen und lungerten noch zu Ostern auf dem Dach herum. Noch eine Himmelfahrt. Doch zurück zu Wichern und ins 19. Jahrhundert, als der Hamburger Theologe (1808—1881) den Adventskranz erfand. Gedacht war der als christliches Stimmungsbarometer: Kerze für Kerze nähern wir uns dem Ereignis der Menschwerdung Gottes. Diese Lichtmetaphorik reichte den Menschen lange Zeit aus und machte sie froh und besinnlich. Dann kam Edison und erfand so ein Glühdingsbums, später kamen die Stadtwerke und lieferten flächendeckend den Strom dazu. Das dürfte die Geburtsstunde der gemeinen Lichterkette gewesen sein. Die Zeiten sollen sich gewandelt haben, heißt es von denen, die so etwas immer wissen, und wenn sie sich nicht ganz sicher sind, nennen sie es Paradigmenwechsel. Auf jeden Fall: Ein neuer Minimalismus ist angesagt mit schnörkellosen, weißen Lichterketten. Und dazu gesellt sich die Aussage eines schnörkellosen Lichterketten-Herstellers, die einem beinahe ein paar Tränen in die Augen treibt: "Man schart sich wieder um das soziale Feuer." Das klingt nach nostalgischer Rückkehr zur ästhetischen Strenge des Protestanten Wichern. Wie auch bei den Nachbarn, deren Baum mit sparsamster Deko und schlichten Kerzen ein Beleg für Geschmack ist. Eine katholische Seele mit der Neigung zum Farbenfrohsinn bekommt so etwas natürlich nicht hin. Dann aber wuchs jenseits der Hecke ein riesiger Schneemann in die Höhe, aufgepumpt mit reichlich Luft, der — vom Winde bewegt — dümmlich herüberzuwinken schien. Was tun? Ein nächtlicher Anschlag aufs Ungetüm? Eine Straftat also kurz vor Weihnachten? Wichern, hilf — schließlich war er auch Gefängnisreformator.

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(RP)
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