Kolumne: Gott Und Die Welt Das Abendland ist nur ein Kampfbegriff

Das Abendland hat keinen festen Grund und keine sichtbaren Grenzen. Es ist kein Festland, das vom Untergang bedroht wird, sondern eine Aufgabe, die uns immer wieder die Gegenwart stellt.

Mit dem irrsinnigen Attentat von Paris wird die Verteidigung des Abendlandes für jene an Brisanz zugelegt haben, die seit Wochen nichts anderes angstvoll beäugen als dessen Gefährdung. Aber der "Untergang des Abendlandes" ist keine Pegida-Erfindung. Das "Urheberrecht" an diesem Szenario darf dem Privatgelehrten Oswald Spengler zugeschrieben werden, der mit seinem gleichnamigen Buch 1918 einen formidablen Bestseller landete. Auch damals standen die Zeichen der Zeit für eine imposante Resonanz gut: Der Erste Weltkrieg hatte sich endgültig als die Urkatastrophe der Menschheit entpuppt und schien Spenglers These blutig zu belegen, wonach Kulturen eine Haltbarkeit von ungefähr 1000 Jahren hätten. Das sogenannte Abendland dankte dennoch nicht ab, auch ein paar Jahre später nicht, als ein selbst ernanntes 1000-jähriges Reich nach zwölf Jahren Terror und Massenmord die halbe Welt in den Abgrund riss. Danach kehrte Ruhe ein im Abendland, das sich christlich definierte und auf drei Säulen baute: auf Golgatha (die Religion), die Akropolis (seine griechische Philosophie) und auf das Kapitol - als Symbol des römischen Rechts. Das alles klingt sehr weit weg von Paris und jenen Debatten, die jetzt in Abgrenzung zum sogenannten Morgenland - wofür dann der Islam steht - geführt werden. Abend- und Morgenland aber sind Kampfbegriffe, die für eigene Interessen dienstbar gemacht werden. Solche Begriffe tragen zur Abschottung und Ausgrenzung bei. Aber das Abendland kennt weder Grenzen noch Schranken; und kein Geburtsort entscheidet darüber, wer dazugehört, sondern nur seine Vorstellung von der Gegenwart. Und die bildet sich im Austausch und im Dialog - auch der Religionen. Dass dies für Christen und Muslime noch immer schwer zu sein scheint, deprimiert schon deshalb, weil beide an denselben Gott glauben und sich mit Abraham auf denselben biblischen Urvater beziehen. Doch im Islam gibt es keine klerikale Autorität, die verbindlich Auskunft etwa über das Verständnis des Korans geben könnte: ob er nun wörtlich quasi als Handlungsanweisung zu verstehen oder als historischer Text erst noch zu deuten ist? Eine Frage, die zu oft über Glaube, Intoleranz und Gewaltbereitschaft entscheidet. Das Abendland wird nicht untergehen, weil es kein Festland, sondern eine Aufgabe ist. Vielleicht hätte auch der Dom zu Köln nicht verdunkelt, sondern extra beleuchtet werden sollen, weil dort die Gebeine der abendländisch wichtigen Zeugen von Christi Geburt verwahrt werden: der drei Weisen aus dem Morgenland.

Ihre Meinung? Schreiben Sie unserem Autor: kolumne@rheinische-post.de

(RP)
Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort