Gesellschaftskunde Warum wir uns Fehler erlauben sollten

Natürlich ist Ungerechtigkeit bitter. Und wenn die Fehlentscheidung eines Schiedsrichters eine Mannschaft in die Niederlage treibt, dann sorgt das zu Recht für Wut und Enttäuschung. Natürlich flammt dann nach dem nicht anerkannten Treffer im Pokalfinale die Diskussion über die Torlinien-Technik auf, und wer ein gesundes Gerechtigkeitsempfinden besitzt, glaubt, den Einsatz neuester Technik befürworten zu müssen.

Aber geht es im Sport um Fehlerlosigkeit? Geht es nicht vor allem um Emotionen? Sind es nicht gerade die Fehlentscheidungen, an die wir uns noch nach Jahrzehnten erinnern, weil sie uns berühren? Weil sie uns im Kleinen vormachen, wie ungerecht das Leben im Großen manchmal ist?

Wenn Sport zur Metapher für das Leben wird, wenn er davon erzählt, wie übel es auch den Guten ergehen kann, dann ist er erst richtig groß. Dann geht es um mehr als Punkte und Tabellen und die Perfektion von Maschinen. Dann erzählt der Sport etwas über die Wirklichkeit und die ganze Tragik, in die sich Leben jederzeit verwandeln kann.

Es gibt aber eine Tendenz in der heutigen Gesellschaft, diese Wechselfälle möglichst auszuschließen. Sensoren auf dem Fußballplatz, 1000 Mittel gegen die unwahrscheinlichsten Krankheiten in der Reiseapotheke, Ratgeber für alle denkbaren Probleme in der Erziehung - die Angst vor Fehlern ist so groß, dass Menschen anfangen, mit dem Risiko das Leben selbst auszuschalten. Wir lernen aber aus Fehlern. Und mehr noch, wir sind überhaupt nur kreativ, wenn wir uns Fehler zugestehen, wenn wir annehmen, dass etwas schiefgehen kann, und uns nicht ängstlich im Vermeiden perfektionieren.

Wer das Fehlermachen preist, sollte allerdings ehrlich bleiben: Natürlich haben falsche Entscheidungen ihren Preis. Fehler akzeptieren lernen bedeutet also, die Schmerzen, die jeder Fehler kostet, akzeptieren lernen. Annehmen, wenn etwas im Leben schief läuft. Wer gegen Torlinientechnik ist, akzeptiert mögliche Ungerechtigkeit. Das ist nicht zu ändern. Dafür bleibt der Fußball, der Fehler akzeptiert, ein Spiel der Emotionen. Ein Spiel, in dem der Mensch auf dem Platz entscheidet - aus schlechter Perspektive, falschem Winkel, mit all seiner Unzulänglichkeit. Das macht ihn so viel interessanter als die Maschine.

Ihre Meinung? Schreiben Sie unserer Autorin: kolumne@rheinische-post.de

(RP)
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