Gesellschaftskunde Warum Reisen kaum noch ein Abenteuer ist

Wer in diesen Tagen seinen Sommerurlaub bucht, kann sich gegen alle Enttäuschungen absichern. Nur reist er dann nicht mehr an einen unbekannten Ort. Dabei gibt es ein Recht auf Nichtwissen – auch bei der Urlaubsplanung.

Wer in diesen Tagen seinen Sommerurlaub bucht, kann sich gegen alle Enttäuschungen absichern. Nur reist er dann nicht mehr an einen unbekannten Ort. Dabei gibt es ein Recht auf Nichtwissen — auch bei der Urlaubsplanung.

Wenn das Frühjahr schon mal ein wenig Sommer spielt, erwachen die Feriengelüste. Dann schließen die Menschen die Augen, denken an Juli und August, hören Wellen rauschen, Kinder am Meer kreischen oder den Specht im Gebirge an die Bäume klopfen.

Früher ging man in dieser Stimmungslage ins Reisebüro, ließ sich verheißungsvolle Ländernamen in die Fantasie flüstern, schleppte zu viele Kataloge heim, blätterte ein wenig; und wenn die Pools anfingen, alle gleich auszusehen, hatte man genug und buchte. Und dann begann die Vorfreude, das Sich-Ausmalen des unbekannten Ortes, den man in wenigen Wochen erkunden und bewohnen würde. Wie groß das Zimmer wohl sein würde und der Balkon und wie weit der Weg zum Strand? Und wenn man dann endlich eintraf, hing ein hässliches Bild über dem Bett und der Balkon war nur ein Sims mit Gitter, aber der Ausblick viel schöner als gedacht. Und dann war man ohnehin immer so lange am Meer, dass die Hotelausstattung zur schönen Nebensache wurde.

Heute verreist man vor der eigentlichen Reise schon mal virtuell. Niemand bucht mehr Übernachtungen, ohne sich vorher per Webkamera ein Musterzimmer anzuschauen, per Bildershow durch die Hotelanlage zu spazieren und vor allem die Berichte anderer Gäste zu studieren. Denn die stellen ja zu ihren Geschichten eigene Fotos ins Netz. Die sind meist schlecht — aber ehrlich. Und sie verraten, wo der potenzielle Nachfolge-Gast Schmuddelecken zu befürchten hat, wo Hotelklötze in der Sichtachse stehen oder wo man die beste Pizza bekommt.

Der Reisende kann selbst Details seines Urlaubs vorab überblicken. Er kann sich gegen böse Überraschungen wappnen, kann die Gefahr der Enttäuschung vor Ort effizient minimieren. Nur reist er nicht mehr an einen unbekannten Ort.

So ist das Reisen ein weiteres Feld geworden, auf dem der gut vernetzte Mensch sich absichern kann gegen die Unvorhersehbarkeiten des Lebens. Doch hat Sicherheit immer ihren Preis. Wer alles schon wissen will, bevor er sich auf den Weg macht, malt sich nichts mehr aus, vertraut nicht auf das kreative Potenzial der Überraschung, wird nicht erleben, wie sich eine erste Enttäuschung in etwas Positives verwandelt. Doch der Zeitgenosse muss im beruflichen wie sozialen Leben mit so vielen Ungewissheiten zurechtkommen, dass er diese abzubauen sucht, wo er nur kann.

Wenn schon nicht klar ist, wie es nach dem Zeitvertrag in der Werbeagentur weitergeht, soll wenigstens der Ausblick von der Berghütte sicher sein.

Dabei kann Nichtwissen bei der Urlaubsplanung ein echtes Abenteuer sein.

Ihre Meinung? Schreiben Sie unserer Autorin: kolumne@rheinische-post.de

(RP)
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