Gesellschaftskunde Warum falsche Bescheidenheit nicht ziert

Peer Steinbrück gerät vor allem darum immer wieder in die Kritik, weil die Leute seine Arroganz spüren. Genauso schlimm ist aber das Gegenteil: die Bescheidenheitsprahlerei.

Nun hat er es sich also auch noch mit den Clowns verdorben: Peer Steinbrück, der Verbal-Husar der SPD. Er überrascht in diesen Tagen eigentlich nur dadurch, wie eifrig er seine Chancen auf das Kanzleramt selbst zunichtemacht. Wie ein störrisches Kind haut er in die Fettnäpfchen. Dabei geht es gar nicht darum, ob er einen Politiker wie Berlusconi als Clown bezeichnen darf, obwohl der doch eher gefährlich ist als komisch. Es geht bei der C-Frage um Steinbrücks Arroganz, darum, dass er sich anmaßt, die Schweizer pauschal als Schwarzgeld-Profiteure zu bezeichnen, die Italiener als Clown-Wähler und darum, dass er Kindergelderhöhungen in Nobelwein umrechnet und dann für überflüssig hält.

Die fetten Jahre sind aber vorbei, da man hierzulande Armani-Kanzler werden konnte. Mit der Finanzkrise ist die heimliche Freude an den Angebern verschwunden. Gordon Gekko hat abgedankt, die neue Bescheidenheit regiert.

Das schlägt gelegentlich allerdings um in ein anderes Extrem: die zur Schau gestellte Demut. Wie alles Heuchlerische ist sie schwer zu ertragen. Der amerikanische Komiker Harris Wittels hat ein Wort dafür erfunden: "Humblebrag" – Bescheidenheitsprahlerei. Tatsächlich gibt es Menschen, die damit auftrumpfen, wie klein und unbedeutend sie angeblich sind. So fühlen sie sich auf der sicheren Seite, geschützt vor möglichen Misserfolgen – und vor dem Neid, der in der Wettbewerbsgesellschaft grassiert. Die Extremtiefstapler überschlagen sich darin, ihre Anstrengung kleinzureden und nur ja keine Erfolge in Aussicht zu stellen. Man kennt das noch aus der Schulzeit. In jeder Klasse gab es doch den einen Streber, der nach jedem Test ein zerknirschtes Gesicht aufsetzte, alles verpfuscht zu haben vorgab und dann wieder die Eins einheimste. Freunde hatte der nicht.

Humblebrag ist ein Zeichen von Angst. Wer sich selbst schlecht macht, kann ja nur positiv überraschen. Natürlich steckt dahinter ein enormes Bedürfnis nach Anerkennung. Die Angeber trumpfen auf, um geliebt zu werden – wenn schon nicht um ihrer selbst willen, dann eben für das, womit sie prahlen. Die Bescheidenheitsaufschneider wollen nicht nur geliebt, sie wollen entdeckt werden. Sie gieren danach, dass andere ihre Verstellung aufdecken, wollen ihr Selbstwertgefühl von außen nähren.

In einer Gesellschaft, die mit Anerkennung geizt, geraten immer mehr Leute in diese Haltung. Ein gutes Gemeinwesen braucht aber Menschen, die Verantwortung übernehmen, die selbstbewusst sagen, was sie können – und das dann auch tun. Niemand findet Aufschneider sympathisch. Doch die Abwehr von Arroganz darf auch nicht so weit gehen, dass nur noch Tiefstapler dem Argwohn der öffentlichen Meinung entgehen.

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(RP)
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