Gesellschaftskunde Von der Angst, nicht mithalten zu können

In immer mehr Lebensbereichen müssen Menschen Konkurrenzkämpfe bestehen. Das erzeugt Druck, den bestmöglichen Platz in der Gesellschaft für sich zu ergattern – und die Angst, dabei zu versagen.

In immer mehr Lebensbereichen müssen Menschen Konkurrenzkämpfe bestehen. Das erzeugt Druck, den bestmöglichen Platz in der Gesellschaft für sich zu ergattern — und die Angst, dabei zu versagen.

Heute berichten schon Mütter von Kindergartenkindern, wie ihre Kleinen morgens darum kämpfen, in bestimmten Outfits in die Kita zu marschieren. Nun kann man dieses frühkindliche Modebewusstsein spaßig finden, weil es natürlich komisch ist, wenn Dreijährige ihren Minimalwortschatz zusammenraffen, um mit rosa Rock statt doofer Jeans ausgestattet zu werden. Doch spätestens, wenn sich Schulkinder weigern, ohne Smartphone und Markenklamotten in ihre Klasse zu gehen, hört der Spaß auf. Dabei macht sich da nur etwas bemerkbar, das längst zum Antrieb in unserer Gesellschaft geworden ist: die Angst, nicht mithalten zu können.

Anerkennung ist ein knappes Gut in unserer Zeit, und weil viele Menschen das spüren, fürchten sie ihre eigene Unzulänglichkeit. Sie haben verinnerlicht, dass sie etwas aus sich machen müssen, dass es an ihnen selbst liegt, sich Anerkennung zu verschaffen. Die Konsumgüterindustrie liefert die Produkte dafür: vom Fitnessgerät bis zum Rhetorikkursus, von der Elektronikausstattung bis zur Schönheits-OP.

Schließlich gilt das Konkurrenzprinzip in immer mehr Lebensbereichen. Schon der Kindergartenplatz muss ja ergattert werden, Eltern durchlaufen Vorstellungsgespräche, als ging es um die Stelle an einer Eliteuni. Auch für den Arbeitsmarkt — oder den Beziehungsmarkt meinen die Menschen, ihre Attraktivität steigern zu müssen. Für Wohnungen im netten Viertel, gehobene medizinische Behandlung, Plätze in einem angenehmen Altenheim sind ebenfalls Verdrängungskämpfe zu gewinnen. Je mehr sich der Staat zurückzieht aus solchen Belangen, desto mehr muss das Individuum auch im privaten Bereich um seine Position kämpfen. Das gibt vielen das Gefühl, sie müssten an ihrer Wirkung arbeiten, müssten den Rollenmodellen entsprechen, die von der Mehrheit verlangt werden und sich ständig gut verkaufen. So wird das Selbst zur Ware. Allzeit optimierungsbedürftig. Das erschöpft.

"Kämpfe um Anerkennung treten an die Stelle von Revolutionen", schreibt der Philosoph Zygmunt Bauman, "und sie drehen sich nicht um die Gestaltung der Zukunft, sondern darum, den bestmöglichen Platz in der Gegenwart zu ergattern." Auch darum ist heute nur noch so wenig von Visionen die Rede, scheint sich die Mehrheit abgefunden zu haben mit der Alternativlosigkeit des Systems. Es fehlt die Energie, sich eine andere Zukunft auszumalen, weil die Gegenwart so anstrengend geworden ist mit der konstanten Drohung des gesellschaftlichen Liebesentzugs.

Natürlich empfinden schon Kinder dieses Klima. Es ist also nicht Habgier oder Unerzogenheit, wenn sie das neueste Smartphone fordern, sie brauchen es für den Statuskampf, der früh beginnt. Dem ist wenig entgegenzusetzen. Außer dem Entschluss, im eigenen Umfeld jedem die Anerkennung zu geben, die er als Mensch verdient — egal wie erfolgreich er sich schlägt in den Konkurrenzkämpfen seines Lebens.

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(RP/felt)
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