Gesellschaftskunde Vom Nutzen unnützer Tätigkeiten

Laub zusammenkehren, Marmelade kochen, einen Pulli stricken, mit solchen Tätigkeiten verschwenden Menschen ihre Zeit – und erweisen auch darin ihr Menschsein.

Laub zusammenkehren, Marmelade kochen, einen Pulli stricken, mit solchen Tätigkeiten verschwenden Menschen ihre Zeit — und erweisen auch darin ihr Menschsein.

Nun füllen wir also wieder unsere Keller mit dem Kompott der reichen Apfelernte und zu Marmelade zerkochten Beeren. Doch manch einer, der stundenlang Äpfel geschält, Kirschen entkernt und Gläschen befüllt hat, wird sich die Frage gestellt haben, ob dieser Aufwand lohnt. Ob man seine Zeit nicht sinnvoller verbringen und den Brotaufstrich im Supermarkt erstehen sollte. Da gibt es die Gläser ja jetzt auch im Vintage-Design mit Stoffdeckchen über dem Deckel wie bei Muttern.

Doch solche Zweifel sind nur Zeichen dafür, wie tief sich das Effizienzdenken unserer Zeit in die Köpfe gefressen hat. Weil viele Menschen an ihrem Arbeitsplatz gelernt haben, ihr eigener Unternehmer zu sein, unterwerfen sie auch ihre private Zeit dem Nutzenkalkül. Dann lohnt sich Marmeladekochen nicht mehr. Und Spazierengehen, Gärtnern, die Eisenbahn aufbauen sowieso nicht.

Dabei bereiten doch gerade solche Tätigkeiten stille Freude und geben dem versonnen vor sich hin Werkelnden das Gefühl, für eine gewisse Zeitspanne nur bei sich zu Gast zu sein. Außerdem sind solche Arbeiten gerade so stumpfsinnig, dass die Gedanken abschweifen dürfen. Wie beflügelnd kann es sein, im Garten das Laub zusammenzurechen, langsam erhitzt sich der Körper in der ollen Arbeitsjacke und auf einmal springt unverbissen auch der Denkmotor an. Dann fällt plötzlich der Geburtstag zurück ins Gedächtnis, zu dem man gerade noch gratulieren kann, oder ein Problem, an dem man lange dokterte, erscheint plötzlich leicht zu lösen.

Dass der Mensch mit scheinbar Unnützem Zeit verbringt, unterscheidet ihn außerdem vom Tier. Selbst die uns so ähnlichen Affen beißen sofort zu, wenn ihnen Äpfel in den Schoß fallen. Niemals würden sie das Obst erst schälen, köcheln, den Genuss dann auch noch verschieben. Es ist also ein Zeichen von Kultiviertheit, wenn der Mensch gegen das Effizienzgebot verstößt, nicht nur überleben will wie die Affen, sondern seine Zeit verschwendet, um sein Leben gut zu gestalten. Darum verdienen die Arbeiten des Alltags Achtsamkeit. Wer sich nicht ganz dem Diktat des Zeitsparens verschreibt, kann manche banale Aufgabe in Momente der Besinnlichkeit verwandeln.

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(RP)
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