Gesellschaftskunde Über das Glück im Zeitalter der Kreditkarte

Früher ersparten die Menschen sich ihre kleinen Träume auf dem Sparkonto. Heute haben sie eine Kreditkarte und holen sich alles sofort – zufriedener macht das nicht.

Früher ersparten die Menschen sich ihre kleinen Träume auf dem Sparkonto. Heute haben sie eine Kreditkarte und holen sich alles sofort — zufriedener macht das nicht.

Ein erster Schritt in die Erwachsenenwelt war früher der Moment, da ein Heranwachsender ein eigenes Sparkonto eröffnete. Das dünne Büchlein von der Bank, in dem die ersten abstrakten Besitztümer säuberlich vermerkt wurden, sah ein wenig aus wie der Reisepass: offiziell, ernst. Jedenfalls tat sich mit dem Sparkonto ein noch ungewohntes Gefühl für die Zukunft auf. Man legte zurück, um sich irgendwann etwas leisten zu können: den Führerschein vielleicht oder ein Schuljahr in den USA, reizvolle Möglichkeiten am Horizont der Pubertät. Der Befriedigungsaufschub war also kein Verzicht, er war Verheißung.

Heute leben wir aber nicht mehr im Zeitalter des Befriedigungs-, sondern des Zahlungsaufschubs. Nicht das Sparkonto ist der Stolz des Heranwachsenden, sondern die Kreditkarte. Sie verspricht Spaß sofort, macht manche Käufe gar erst möglich, schafft erst den vollkommen ermächtigten Konsumenten. Wer eine Kreditkarte besitzt, kann die Dinge direkt aus dem Laden tragen. Beute sofort, Rechnung später. Die Vorfreude ist damit allerdings dahin.

Die Moderne bezog ihre Lust noch aus dem Ausblick auf etwas Ersehntes. Eigentlich ein schlaues Konzept, denn der Aufschub überlässt es ja der Fantasie, sich das Gewünschte auszumalen. Und in der Fantasie sind Urlaube, das neue Auto, der riesige Fernseher oft sehr viel schöner als in der erreichten Wirklichkeit.

Die Postmoderne aber hat es eiliger. Aus dem Dreiklang "Wünschen, Warten, Wirklichkeit" hat sie den Aufschub gestrichen. Das ist mehr als zeitliche Verdichtung, es verschiebt die Werte. Nicht mehr das erstrebte Gut soll Befriedigung verschaffen, sondern das Kaufen an sich. Aus dem Sich-etwas-Leisten-können ist ein Das-hol-ich-mir geworden. Das aber lässt ein schales Gefühl zurück. Denn natürlich machen weder Dinge noch Kaufpotenz den Menschen reicher. Das soll nicht heißen, dass es kein Vergnügen bereitet, die neue Herbstmode an sich auszuprobieren oder die eigene Technikausstattung hochzurüsten. Natürlich macht Neues Spaß. Aber es sollte nichts mit dem Selbstwertgefühl zu tun haben. In der Konsumgesellschaft aber versucht die Industrie beharrlich, Glück mit dem Kauf von Produkten zu verknüpfen. So fühlen sich viele Menschen erst als Konsumenten lebendig, verpassen das immaterielle Glück. Dabei kann das schon im Träumen liegen — von etwas, das man sich noch nicht leisten kann.

Ihre Meinung? Schreiben Sie unserer Autorin: kolumne@rheinische-post.de

(RP)
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