Kolumne: Gesellschaftskunde Einmal im Jahr radeln statt reden

Die Fahrradtour unter Männern wirkt wie ein Ritual aus vergangener Zeit, als die Geschlechterrollen noch eindeutig und fix waren. Doch der Vatertag bleibt wichtig - zur Selbstfindung der Männer.

Kolumne: Gesellschaftskunde: Einmal im Jahr radeln statt reden
Foto: Phil Ninh

Ein bisschen lächerlich wirkt es natürlich schon, wenn Männer einmal im Jahr den Bollerwagen mit Fässchen hinter das Fahrrad schnallen, sich verbünden und schlenkernd heimkehren. Vatertag passt doch gar nicht mehr in die Elternzeit-Ära mit ihren experimentellen Familienmodellen und Geschlechterrollen in totaler Auflösung. Genauso wenig natürlich wie Muttertag, dieses Hochfest der Scheinheiligkeit mit seinen übergroßen Blumengebinden für Frauen, die sagen, dass das nicht nötig sei. Ist das nicht alles so out wie Fleurop?

Mutter- wie Vatertag sind Feste, bei denen es um Identität geht. Um soziale Rollen und deren Wertschätzung. Darum verändern sich die Inhalte, die Rituale und unsere Haltung dazu. Überflüssig werden diese Feste nicht. Denn wer den traditionellen Männerausflug oder das Geschenk für die Mama cool abtut, verkennt den Wert, der darin steckt, wenn eine Gesellschaft an einem Stichtag aufgefordert ist, sich über grundlegende Muster ihres Zusammenlebens Gedanken zu machen.

Heute sind also die Väter dran. Die haben inzwischen gelernt, dass Windeln wickeln auch ihr Job ist und es Spaß machen kann, die Kinder morgens zur Kita zu bringen. Trotzdem steigen manche von ihnen weiter gern am Feiertag aufs Fahrrad und lassen Frauen und Kind mal daheim. Gerade in Zeiten, da Haushaltsaufgaben in Familien langsam gerechter verteilt werden (es ist immer noch ein Lackmustest, wer bügelt), scheint es ein Bedürfnis danach zu geben, Männlichkeit und Solidarität zu beschwören, mal unter Jungs was zu machen. Zu radeln statt zu reden.

Das mag wirken wie der alljährliche Testosteron-Ausbruch des ansonsten unterdrückten Mannes. Letztlich aber geht es doch um das schöne Erlebnis - für Männer. Und für deren Frauen. Denn egal, welche Rollenmuster Paare für ihr Zusammensein entwickeln: Wichtig ist, dass Raum für den anderen bleibt. Dass er mal etwas alleine unternehmen darf. Seinem Selbst begegnen kann ohne den gewohnten Kontext.

Der Bollerwagen am Rad ist dafür ein Signal. Und ob sich dann Machos, Helikopter-Papas, Hipster-Daddys, Zwei-Monate-Elternzeit-Nehmer, Hausmänner oder Vati-Romantiker auf den Sattel schwingen, ist völlig egal. Sie werden ihre Vatertagsrituale finden - klassisch radeln, mit den Söhnen Retro-Lagerfeuer aufhäufen, zum Pop-Konzert gehen. Und dadurch ausdrücken, wie sie sich sehen. Und gesehen werden wollen. Das darf man dann auch lächerlich finden. Oder sich einfach mit den Männern freuen.

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