Kolumne: Gesellschaftskunde Einmal einsperren, bitte

Düsseldorf · In einem fensterlosen Raum Rätsel lösen, um sich zu befreien: Mit diesem Konzept haben Betreiber von "Escape Rooms" großen Erfolg. Womöglich geht es dabei nicht nur um Knobellust.

Kolumne: Gesellschaftskunde: Einmal einsperren, bitte
Foto: Krings

Natürlich kann man alles auf den Spieltrieb schieben. Menschen tüfteln nun mal gern, versetzen sich in andere Rollen, lieben den kontrollierten Nervenkitzel. Darum ist es kein Wunder, dass eine neue Spielidee gerade auf rasant wachsenden Zuspruch trifft: "Escape Rooms", "Live Escape Games" oder "Exit Games" heißen sie — Menschen lassen sich gruppenweise für eine Stunde in einen Raum sperren und müssen Rätsel lösen, um sich wieder zu befreien.

Meist ist in den fensterlosen Spielgefängnissen eine Uhr angebracht, die rückwärts läuft und den Lösungsdruck erhöht. Dazu sind je nach Motto des Zimmers rätselhafte Dinge ausgelegt, die ein bisschen Grusel erzeugen und kombinierbegabte Teilnehmer am Ende in die Freiheit leiten.

Das klingt alles nach Computerspiel, und da kommt die Idee auch her. Die "Escape Rooms" sind eine Rückübertragung virtueller Spiele in die Wirklichkeit. Das eröffnet natürlich weitere Möglichkeiten: In Asien gibt es bereits Spielzimmer, in die die Technik wieder eingezogen ist. Da müssen die Teilnehmer dann Virtual-Reality-Abenteuer in 4D bestehen, um wieder rauszukommen.

Womöglich ist es aber nicht nur der Spieltrieb, der Menschen freiwillig in die Klemme treibt. Womöglich ist es auch die Lust am kalkulierten Freiheitsentzug. Vordergründig bieten die "Escape Rooms" harmlosen Knobelspaß in Fantasiekulissen, bei dem Gruppen ihren Teamgeist beweisen können. Doch zugleich spielt das Konzept mit der Angstlust, grundlos eingesperrt zu sein, in einen dunklen Kerker zu geraten und um die Freiheit kämpfen zu müssen.

Wahrscheinlich ist das vor allem deswegen reizvoll, weil die Teilnehmer auf einen Moment größtmöglicher Machtentfaltung hinarbeiten, auf die Befreiung aus eigenen Kräften. In der Psychologie nennt man das Selbstwirksamkeit: die Überzeugung eines Menschen, auch schwierige Situationen aus eigener Kraft bewältigen zu können. Diese Erwartung an die eigene Wirksamkeit im Leben gilt als natürliches Grundbedürfnis des Menschen. Allerdings erlebt er im Alltag oft das Gegenteil. Entwicklungen wie die Digitalisierung verändern seine Lebens- und Arbeitswelt. Der Einzelne kann darauf nur reagieren, sich anpassen und versuchen, den neuen Ansprüchen zu genügen. Sein Selbst erlebt er dabei als wenig wirksam.

Da kann es ein befreiendes Erlebnis sein, wenigstens in einer Spielwelt den Schlüssel in die Freiheit zu finden, Türen zu öffnen, sich aus bedrängter Lage zu befreien. Die modernen Spielzimmer dürften also weiter Konjunktur haben.

Ihre Meinung? Schreiben Sie unserer Autorin: kolumne@rheinische-post.de

(dok)
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