Gesellschaftskunde Das fragwürdige Mag-ich-nicht-Prinzip

Es ist unpopulär geworden, ein gewisses Durchhaltevermögen auch in schwierigen Phasen einzufordern, weil es nach Märtyrertum, nach Leidenwollen klingt.

In Zeiten des Wohlstands haben die meisten Menschen sich angewöhnt, ihre Entscheidungen auf der Grundlage von Lust und Unlust, von Mögen und Nichtmögen zu treffen. Dahinter steht die Vorstellung, dass wir im Prinzip ein Recht darauf besitzen, immer glücklich zu sein. Wenn sich im Leben dann Umstände ergeben, die unbequem sind, die uns nicht glücklich machen, uns Zugeständnisse, gar Opfer abverlangen, dann versuchen wir, die abzustellen. Möglichst bald.

Natürlich ist im Prinzip nichts dagegen zu sagen, sich das Leben möglichst angenehm zu machen. Und wenn die Amerikaner "Pursuit of Happiness", das Streben nach Glück, sogar in ihre Verfassung geschrieben haben, so meinten sie damit das Recht des Menschen, sich frei und unversehrt entfalten zu können. Doch im Konsumzeitalter ist dieser Gedanke zu einer Vorstellung verkommen, jeder habe Anspruch darauf, sich möglichst viel Komfort zu verschaffen. Folglich alles, was Unlust erzeugt, zügig aus dem Leben zu verbannen.

Diese Haltung hat aber einen Mangel an Rücksicht und Belastbarkeit von Beziehungen zur Folge. Er kostet das Erlebnis, auch mal ein Tal durchschritten, eine Schwierigkeit durchgestanden zu haben. In Wahrheit sind es aber diese Zeiten, die einem Leben Tiefe, inneren Reichtum geben. Ein gewisses Maß an Verlässlichkeit ist auch notwendig für eine Gesellschaft. Es braucht für ein gutes Miteinander den Konsens, einander beizustehen, statt Schwierigkeiten für eine Zumutung zu halten, der man am besten ausweicht.

Es ist jedoch unpopulär geworden, ein gewisses Durchhaltevermögen auch in schwierigen Lebensphasen einzufordern, weil es nach Märtyrertum, nach Leidenwollen klingt.

Vielleicht ist uns aber nur aus dem Blick geraten, dass es auch heute durchaus Menschen gibt, die ihre Entscheidungen nicht nach dem Mag-ich-/Mag-ich-nicht-Prinzip fällen, sondern sich an gültigeren Werten orientieren. Die widmen ihr Leben dann einer guten Sache, obwohl sie Karriere machen könnten. Oder sie versuchen, eine Ehekrise durchzustehen, obwohl sie ihr Glück einfach mit jemand anderem versuchen könnten. Oder sie pflegen Angehörige, obwohl das ihre Bewegungsfreiheit einengt. Solche Menschen sind eine Herausforderung für den Zeitgeist, weil sie ihr eigenes Wohlbefinden nicht an erste Stelle setzen.

Vielleicht ist aber genau das der Schlüssel zum Glück. Vielleicht müssen wir begreifen, dass ein bequemes Leben oft kein sonderlich erfülltes ist, weil es das Ego zu groß macht. Das Ego hat es gern bequem, ein reifes Ich hat keine Angst vor Herausforderungen.

Ihre Meinung? Schreiben Sie unserer Autorin: kolumne@rheinische-post.de

(RP)
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