Frauensache Sabine – ein Durchschnittsleben

Ihr brummte der Schädel. Fast zwei Stunden hatten sie am vergangenen Freitag im Bundestag nur über sie gesprochen – die Frau in Deutschland.

Ihr brummte der Schädel. Fast zwei Stunden hatten sie am vergangenen Freitag im Bundestag nur über sie gesprochen — die Frau in Deutschland.

Von Zeitsouveränität war die Rede (ein seltsames Wort, zumal sie wieder mal in Eile war, um ihre 1,4 Kinder noch pünktlich aus der Kita abzuholen), von Teilzeitarbeit, Minijobs und von Lohnungleichheit. In Deutschlands Lebenswirklichkeit sei immer noch nicht angekommen, dass "die Menschenrechte auch für Frauen gelten", hatte die Bundesfamilienministerin gesagt. Dieser Satz beschäftigte sie.

Stand es um sie, die deutsche Durchschnittsfrau, wirklich so schlimm? Ihr Name: Sabine, 1,65 Meter groß und mit 68 Kilogramm ein paar Pfunde zu viel auf den Hüften, kaufmännische Angestellte mit Real- oder Hochschulabschluss. Mit 30 hatte sie geheiratet und ihr erstes Kind bekommen — beides war wohlüberlegt. Anders als der Durchschnittsmann war sie ohnehin nie auf die große Karriere aus; während fast 50 Prozent der Männer eine Leitungsfunktion anstreben, sind es bei den Frauen nur 29 Prozent.

Natürlich war sie ehrgeizig, aber ihren Ehrgeiz musste sie, seitdem sie Mutter geworden war, vor allem darauf verwenden, Familie und Beruf unter einen Hut zu bekommen. Trotz allgegenwärtiger Gleichstellungsdebatten hatte sie das Gefühl, Kind und Karriere seien noch immer eine Entweder-Oder-Entscheidung. Schließlich musste es ja einen Grund haben, dass 77 Prozent der weiblichen Führungskräfte hierzulande kinderlos sind. Haushalt, Einkäufe, Kindererziehung — das Meiste blieb an ihr hängen (nein, da gab es nichts schönzureden, wenn selbst nur 30 Prozent der Männer sagten, sie würden sich die häuslichen Pflichten mit ihrer Frau gerecht teilen).

Kein Wunder also, dass zwar 72 Prozent der Frauen in Deutschland berufstätig sind, ihr Anteil an den Vollzeitjobs aber geringer ist als in den meisten europäischen Ländern. Mittlerweile dämmerte es draußen, sie hatte den Abendbrottisch gedeckt, für sich, den Mann und die 1,4 Kinder. Das gemeinsame Essen mit der Familie gehörte zu ihren Glücksmomenten, so wie bei 72 Prozent aller Deutschen. Auch wenn ihr Mann am Tisch in Gedanken noch bei seiner Arbeit wäre (typisch für die Mehrheit der Männer in leitenden Positionen), wusste sie doch, dass er seine freie Zeit am liebsten mit den Kindern verbrachte. Diese Stunden nutzte sie dann für sich.

Und weil sie die Durchschnittsfrau war, entspannte sie beim Schuhe kaufen. Davon besaß sie übrigens 20 Paar — elf davon würde sie allerdings nie tragen.

(RP)
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