Kolumne: Gesellschaftskunde British Groko

Düsseldorf · Das britische Parlament wird hierzulande gemeinhin hochgeschätzt. Dabei gibt es derzeit nun wirklich kein gutes Bild ab. Es fehlt die Fähigkeit zum Kompromiss – etwas, wozu das deutsche System praktisch zwingt.

 In Westminister tagt die „Mutter aller Parlamente“.

In Westminister tagt die „Mutter aller Parlamente“.

Foto: dpa/David Parry

Mit einer Mischung aus Faszination und Grauen darf man derzeit nach Großbritannien blicken. Mit Faszination, weil man hier der Geschichte im Werden zusehen kann – der Brexit ist ein Jahrhundertprojekt (ein falsches, aber doch ein Jahrhundertprojekt), ein Sprung ins Dunkle, und das große Ringen vollzieht sich vor aller Augen. Mit Grauen, weil nun auch der verschobene Brexit-Termin näherrückt, ohne dass eine Lösung gefunden ist. Und auch, weil das in Deutschland gemeinhin hochgeschätzte britische Parlament, sagen wir: nicht das beste Bild abgibt.

Hierzulande verweist, wer der schwerfälligen, parteiendominierten Verhandlungsroutinen unserer Konsensdemokratie müde ist, gern auf das Modell Westminster, von Wissenschaftlern Konkurrenzdemokratie genannt: Mehrheitswahlrecht, mithin klare Verhältnisse und starke einzelne Abgeordnete, die in einem echten Debattenparlament um die Sache ringen. Politik mit offenem Visier!

Pustekuchen. Das Unterhaus ist nicht nur seit der Neuwahl 2017 „hung“, also ohne klare Mehrheit. Es ist in der Brexit-Frage auch seit Monaten blockiert, weil es nur negative, aber keine positiven Mehrheiten zustande gebracht hat. Parteitaktik, bei den Tories wie bei Labour, hat bisher noch stets eine Lösung verhindert.

Das Brexit-Gewürge ist ein guter Anlass, sich die Weisheit in Erinnerung zu rufen, dass das Gras woanders auch nicht unbedingt grüner ist. Wir mögen zu Recht über die Langeweile im Bundestag spotten und die Bremswirkung des Föderalismus beklagen – das deutsche System zwingt aber auch zum Kompromiss. Eine Groko in London, ob nun formell oder informell, also nur in Sachen Brexit, wäre zwar eine ganz unbritische Vorstellung, in ihrer nüchternen Rationalität aber auch wieder sehr passend. Man muss ja nicht gleich sagen: alternativlos.

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