Kolumne Berliner Republik Reporter mit Mission

Berlin · Die kritische Haltung von Journalisten allem gegenüber geht häufig verloren. Ein amerikanischer Medienwissenschaftler hat eine Erklärung dafür.

 Kolumnen-Autor Christoph Schwennicke.

Kolumnen-Autor Christoph Schwennicke.

Foto: Schwennicke

Dieser Tage bekam ich Besuch von einem Journalistik-Professor der New York University. Er widmet sich der Frage nach dem Zustand des deutschen Journalismus und will herausfinden, weshalb dieser im Unterschied zum angelsächsischen Journalismus in Zeiten von Trump und AfD eher in Gefahr ist, aktivistische Tendenzen aufzuweisen, das ganze Gewerbe als Erziehungseinrichtung misszuverstehen und eine übergroße Nähe zum politischen Betrieb an den Tag zu legen.

Es war erste wenige Tage her, dass sich die Kanzlerin in einem Sommerspaziergang namens Pressekonferenz vom Berliner Pressekorps verabschiedet hatte, und nicht nur im Eindruck dieser Veranstaltung fand ich die Fragestellung von Jay Rosen so berechtigt. Es ist nämlich in der Tat seltsam, welches Amalgam aus Aktivismus und Journalismus geduldet wird, wie ihm teilweise geradezu gehuldigt wird.

Zu den Kolumnisten von Spiegel Online (Spon) etwa gehört eine Autorin, die stets als „Journalistin“ firmiert, auch dann, wenn sie von Angela Merkel spontan mit zu einer gemeinsamen Pressekonferenz nach einem Integrationsgipfel im Kanzleramt genommen wird, vermutlich, um Horst Seehofer zu ärgern. Tatsächlich aber ist Ferda Ataman als Sprecherin des Netzwerkes „Neue Deutsche Organisationen“, eine lupenreine Aktivistin mit einer thematische Mission. Was nicht schlimm ist, sogar ehrenwert, sich aber nicht mit einer journalistischen Tätigkeit verträgt.

Denn Journalismus sollte eine kühle Äquidistanz allem und jedem gegenüber wahren. Auch einer Sache gegenüber, die allgemein als gut befunden wird. Das geht notwendigerweise nicht, wenn man sich offiziell einer Sache verschrieben hat. Es gab zu Bonner Zeiten einmal eine mächtige und finanzstarke Interessenorganisation namens Atomforum. Brettharte Kernkraftlobbyisten. Wäre je jemand bei Spon oder sonst wo auf die Idee gekommen, einem dieser Leute eine regelmäßige Kolumne zu geben zur Energiewirtschaft?

Die Schule des professionellen Nachrichtenjournalismus hat keine Tradition

Rosen hat mir einen Satz des Chefredakteurs der Washington Post, Marty Baron, in Erinnerung gerufen. Im schwierigen Umgang mit dem aktuellen amerikanischen Präsidenten hat Baron gesagt: „We are at work not at war.“ Wir sind bei der Arbeit und nicht im Krieg mit Donald Trump. Besser kann man es nicht sagen, und eine besser Grundeinstellung gibt es nicht für unseren Beruf, der eine professionelle Einstellung erfordert. Das unterscheidet ihm vom Bloggertum.

Übrigens hat mir Rosen die erste plausible Erklärung gegeben, warum der hiesige Journalismus mehr als der angelsächsische anfällig ist für die subjektive Gefühligkeit in der Berichterstattung. Weil die angelsächsische Schule des professionellen Nachrichtenjournalismus zwar nach dem Zweiten Weltkrieg importiert wurde von den Alliierten. Aber keine Tradition hatte. Deshalb auch nicht so nachhaltig verankert ist wie in Großbritannien oder den USA.

Wie sagte so ewig gültig Hajo Friedrichs über unseren Beruf? Sich mit keiner Sache gemein machen, auch nicht mit einer guten. Wo ist der Mann ausgebildet worden? Bei der BBC. Jay Rosen wird in nächster Zeit einen Essay in der FAZ zu seiner Studie veröffentlichen. Man sollte das im Auge haben.

Christoph Schwennicke ist Chefredakteur des „Cicero“ und schreibt regelmäßig an dieser Stelle im Rahmen einer Kooperation. Ihre Meinung? Schreiben Sie unserem Autor: kolumne@rheinische-post.de

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