Kolumne „Berliner Republik“ Lasst die Moralkeule ruhen

Berlin · Ob beim Tempolimit oder beim Streit um das Fleisch: Ständig zielen öffentliche Debatten am Kern der Probleme vorbei.

 Bauarbeiter montieren ein Schild mit der Aufschrift „130“ an einer Autobahn (Symbolfoto).

Bauarbeiter montieren ein Schild mit der Aufschrift „130“ an einer Autobahn (Symbolfoto).

Foto: dpa/Patrick Seeger

Selbstverständlich kann man über ein Tempolimit auf der Autobahn diskutieren, auch über die falschen Texte für einen WDR-Kinderchor, über Böller an Silvester und darüber, wie viel Fleisch eigentlich für Mensch und Umwelt gesund sind. Was mich an diesen Debatten aber stört: Sie sind immer überzogen, werden viel aggressiver geführt, als es der Sache angemessen ist, und sie zielen am Kern der Probleme vorbei.

Klar, es gibt fürs Tempolimit gute Gründe – die Emissionen der Autos wären etwas geringer und mancher Drängler müsste sich im Dienste der Verkehrssicherheit mäßigen. Die Diskussion darum wird aber geführt, als bringe ein Tempolimit die Verkehrswende und als gäbe es keine Unfälle mehr, würde die Geschwindigkeit auf Autobahnen auf 130 Kilometer pro Stunde gedrosselt. Beides ist nicht der Fall. Die Verkehrswende lässt sich nur mit einem massiven Ausbau eines zuverlässigen öffentlichen Verkehrs und einem klaren Umsteuern der Autoindustrie bewerkstelligen. Das Tempolimit ist da Nebensache und die Debatte führt insbesondere dann zu nichts, wenn sie nach dem Das-Gute-gegen-das-Böse-Prinzip geführt wird.

Zur Debatte um Fleischkonsum, den ja auch der WDR-Kinderchor reichlich uncharmant gegeißelt hat: Man muss nicht jedem Menschen, der ein preiswertes Schnitzel isst, das Gefühl geben, er sei ein schlechter Mensch oder eine Umweltsau. Wir brauchen auch keinen Veggie-Day in Kantinen. Aber jeden Tag in einer Kantine ein fleischloses, dennoch vollwertiges Gericht anzubieten, wäre eine konstruktive Maßnahme, die einen freiwilligen Verzicht auslösen würde. Auch Aufklärung über das Leiden der Tiere in Massenhaltung tut not. Es reicht aber, die Dinge so zu schildern, wie sie in der Realität sind. Das ist schlimm genug. Da bedarf es keiner moralischen Keule.

Ihre Meinung? Schreiben Sie unserer Autorin: kolumne@rheinische-post.de

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