Berliner Republik Die große Kunst des politischen Aufstands

Den Aufstand in den eigenen Reihen zu wagen, gehört zur höheren Form der politischen Kunst. Nirgendwo sonst ist der Grat zwischen Held und Außenseiter so schmal. Daher verlegten sich die jungen CDU-Abgeordneten auf eine diplomatische Rebellion bei der Rente.

Bei Anruf Rebellion: Der Aufstand der jungen CDU-Leute gegen das Rentenpaket beim Parteitag war eine Art Salon-Rebellion. Mit dem höflichen Hinweis, dass er hinter der Kanzlerin und ihrer Politik stehe, leitete Carsten Linnemann vom Wirtschaftsflügel seine Kritik an der Rente ab 63 ein. Selbstverständlich war die Parteiführung vorgewarnt.

Zudem kam die wohl dosierte Kritik gelegen. Schließlich geht das Unbehagen in der CDU über die Rente ab 63 tief in die Partei hinein. Und ein Aufstand in den eigenen Reihen stärkt in diesem Fall die eigene Position beim Verhandlungspartner. Nun kann die Union mit dem Verweis darauf, dass die Zustimmung zum Rentenpaket gefährdet ist, möglicherweise mehr bei der Begrenzung der Rente ab 63 herausholen. Wenn dies gelingt, würde der von Linnemann angezettelte Aufstand für ihn in der Rubrik "Held" enden, speziell: "Held der verlängerten Lebensarbeitszeit".

Oberste Regeln für einen politischen Aufstand sind, dass dieser gut vorbereitet wird und dass es mächtige Verbündete gibt. Um es an einem Beispiel zu erklären, bei dem es gründlich schiefgegangen ist: Der Aufstand von Heiner Geißler, Rita Süssmuth und Co. gegen Kanzler Helmut Kohl ist ein Vierteljahrhundert her, dient aber immer noch als Muster dafür, wie man es nicht machen sollte. Sie waren am Ende nicht nur die Verlierer gegen den späteren Kanzler der Einheit und den Großmeister des Aussitzens, sie hatten sich auch noch öffentlich lächerlich gemacht. Bei dem Putschversuch war so ziemlich alles schiefgelaufen. Es wurde im Vorfeld zu viel über die Pläne geredet und zu wenig tatsächlich strategisch vorbereitet.

Zurück zur Rente: Auch wenn die Union bei dem Versuch, die Rente ab 63 noch abzumildern, strategisch geschickt vorgeht, muss sie sich der Gegnerin bewusst sein. Die politischen Spielchen von "Mehrheiten organisieren" bis hin zum "Parteichef meucheln" beherrscht Arbeitsministerin Andrea Nahles hervorragend. In Sachen Aufstand kann man von ihr lernen: Als Juso-Chefin zog sie 1995 beim SPD-Parteitag die Strippen und trug maßgeblich zum Sturz von Rudolf Scharping als Parteichef bei. Die Union darf davon ausgehen, dass sich diese Sozialdemokratin nicht umdribbeln lässt.

Persönlich ist der politische Aufstand immer ein hohes Risiko. Er kann Karrieren beflügeln und diese zerstören. Alleingänge bleiben in der Politik jedenfalls nie ungestraft. Die Quittung kann beispielsweise als schlechtes Wahlergebnis beim Parteitag kommen, wie bei CDU-Vize-Chefin Ursula von der Leyen. Sie ist ob ihrer Alleingänge geachtet, aber nicht geliebt.

Für die Resozialisierung vom politischen Alleingänger zurück ins Glied entscheiden sich nur Wenige. Einer ist Karl Lauterbach. Eine Wahlperiode lang war es ihm egal, ob er sich auf Kosten von Parteifreunden oder des politischen Gegners profilierte. Als Schauspieler "Heiner Lauterbach" verspotteten sie ihn. Vor der Bundestagswahl entschloss er sich dann, Teamspieler zu werden. Die SPD belohnte ihn mit dem Job des Fraktionsvize.

Ihre Meinung? schreiben Sie unserer Autorin: kolumne@rheinische-post.de

(RP)
Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort