Kolumne: Berliner Republik Nervenflattern hilft nicht weiter

Berlin · Im Regierungsviertel herrscht angesichts der schlechten Umfragewerte für die Volksparteien heute schon große Unruhe vor der Bundestagswahl 2017. Doch wer nervös ist, macht erst recht Fehler.

 Eva Quadbeck leitet das Berliner Büro unserer Redaktion.

Eva Quadbeck leitet das Berliner Büro unserer Redaktion.

Foto: Quadbeck

Seitdem die traditionellen Wählermilieus verschwunden sind, beobachten Politiker, Wissenschaftler und eine wachsende Schar an Politikberatern den Wähler wie ein exotisches, noch unerforschtes Tier. Man weiß, dass es ihn gibt. Man weiß aber nicht, ob er zur Urne kommt, wenn man um ihn wirbt, und in welche Richtung er als nächstes läuft.

Die Landtagswahlen im März haben gezeigt, dass der Wähler wieder häufiger zur Wahlurne geht, in seiner Entscheidung aber launischer geworden ist. Bei den Parteien hat sich Krisenstimmung festgesetzt. Im Berliner Regierungsviertel blicken schon heute viele Abgeordnete und deren Mitarbeiter ängstlich auf den Herbst 2017. Etliche Politiker etablierter Parteien könnten ihre Jobs verlieren, wenn sich die Stimmung im Land fortsetzt, wie sie sich derzeit in Umfragen abzeichnet. Doch sollte man trotz der starken Umfragewerte der rechtspopulistischen AfD die Kirche im Dorf lassen. Die Republik steckt in einer Krise des Parteiensystems, aber keinesfalls in einer Staatskrise. Seit Jahren schon differenzieren Kenner der Materie zwischen Politik- und Parteienverdrossenheit. Die Politikverdrossenheit ist in unserem Land gar nicht so groß, die Parteienverdrossenheit sehr wohl. Der AfD als Protestpartei gelingt es, eben jene Unzufriedenen einzusammeln.

Wie die Beispiele Baden-Württemberg, Rheinland-Pfalz und Sachsen-Anhalt zeigen, ist die politische Mitte stark genug, auch in neuen Konstellationen Regierungen zu bilden, die gute Aussichten haben, stabil zu arbeiten. Auf diesem Befund sollten sich die Parteien aber keinesfalls ausruhen. Im Gegenteil: Wenn die Parteien nicht verstehen, dass es nicht nur die Flüchtlingskrise ist, die den Rechtspopulisten die Wähler in die Arme treibt, wird sich der Niedergang der Volksparteien fortsetzen. Insbesondere Union und Sozialdemokraten müssen dem Gefühl vieler Bürger von "Ihr da oben und wir da unten" vertrauensbildende Maßnahmen entgegensetzen. Dazu könnte zum Beispiel der Rückzug der Parteien aus Gremien und Funktionen gehören, die auch ohne den Einfluss von rechts und links gut funktionieren können: der Rundfunkrat oder die Besetzung hoher Justizämter.

Was den Parteien aktuell auch schadet, ist ihre enorme Nervosität angesichts der schlechten Umfragewerte. Das Nervenflattern führt dazu, dass viele Politiker noch stärker parteipolitisch agieren als sonst, um dem eigenen Laden wieder auf die Füße zu helfen - und damit auch das eigene Mandat für die Zukunft abzusichern. Der Wähler hat dafür ein feines Gespür und distanziert sich erst recht. Die Volksparteien müssen aufpassen, dass sie dieser Mechanismus nicht in eine Abwärtsspirale treibt.

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(qua)
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