Kolumne Digital Digitale statt große Koalition

Düsseldorf · Neulich hat die Deutsche Bank bei mir um die Ecke eine neue Filiale aufgemacht. Statt Schalterhalle stehen dort nur noch Automaten. Angeblich lassen sich nahezu alle Dienstleistungen des klassischen Filialgeschäfts durch die Maschinen abwickeln.

 Richard Gutjahr.

Richard Gutjahr.

Foto: Mathias Vietmeier

Beim Rewe in der Innenstadt gibt es inzwischen Kassen zum Selbstauschecken. Anfangs habe ich sie ignoriert, viel zu kompliziert und zu unpersönlich. Doch irgendwann, als ich die lange Feierabend-Schlange vor mir sah, bin ich dann doch auf die Maschine ausgewichen.

Wenn ich heute Abend die Nachrichten im Bayerischen Fernsehen moderiere, stehe ich völlig allein im Studio. Dort, wo früher noch Kameraleute und Kabelträger standen, blicke ich heute in drei Kamera-Roboter, die sich wie von Geisterhand bewegen. Deutschland automatisiert sich und die Einschläge kommen näher.

Die Menschen spüren, dass sich die Arbeitswelt verändert. Laut einer Bitkom-Umfrage sind drei von vier Erwerbstätigen in Deutschland der Meinung, dass Digitalkompetenz mindestens so wichtig für ihren Arbeitsplatz sein wird, wie ihre Fachkompetenz. Das Problem: Das ist bei Politik und Arbeitgebern scheinbar noch nicht angekommen.

SPD ist Sinnbild für Orientierungslosigkeit der Entscheider

Dort fordert man zwar gerne Digitalkompetenz, man tut aber nichts dafür. Die SPD ist Sinnbild für die Orientierungslosigkeit der sogenannten Entscheider. Kursziel Regierungsbank, Würselen oder doch Europa? Auf der großen Überfahrt von Industrie- ins Digitalzeitalter scheint ausgerechnet die Arbeiterpartei irgendwo im visionären Bermudadreieck verschollen zu sein.

Einst, im beginnenden Industriezeitalter, war die SPD die Antwort auf den technologischen Wandel. Heute ist sie ein einziges Fragezeichen. Wo ist die digitale Agenda der Partei? Wo sind die Aus- und Weiterbildungsangebote in den Betrieben? Warum werden noch immer Generationen von Kindern und Jugendlichen zielsicher am Arbeitsmarkt der Zukunft vorbei ausgebildet?

Zwischen Zerrieben-werden in der Groko oder Schmollen über Jamaika, könnte die SPD einen dritten Weg einschlagen. Nicht nur Christian Lindner und die FDP können digital. Auch die anderen Parteien haben exzellente digitale Köpfe in ihren Reihen: Thomas Jarzombek bei der CDU, Konstantin von Notz bei den Grünen, Dorothee Bär bei der CSU.

Mit der Wahl von Lars Klingbeil zum Generalsekretär hätte die SPD die Chance, neue Allianzen zu schmieden, jenseits von Mehrheiten und Parteiräson. Was wir bräuchten, um den Tanker Deutschland endlich auf Kurs in Richtung Neuland zu bringen, wäre eine digitale Koalition quer durch alle Reihen. Eine digitale Agenda, in der sich alle wiederfinden könnten, in der alles verhandelbar ist, bis auf eines: Stillstand.

(rg)
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