Manipuliertes Gorleben-Gutachten Kohls Forschungsminister dementiert

Hannover (RPO). Die Regierung Helmut Kohl hat 1983 maßgeblich Einfluss auf ein zentrales Gutachten zur Atom-Endlagerstätte Gorleben genommen. Für diesen Verdacht ist nun erstmals ein schriftlicher Beleg aufgetaucht. Heinz Riesenhuber, Kohls damaliger Forschungsminister, dementiert dennoch die politische Beeinflussung politischer Gutachten.

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Foto: AP

"Diese Unterstellungen weise ich entschieden zurück", erklärte Riesenhuber am Mittwoch in Berlin. Das in der Presse zitierte Telex vom 13. Mai 1983 sei ein Beitrag des zuständigen Fachreferates gewesen, das in seiner Zuständigkeit zur Ressortabstimmung beigetragen habe. Als Forschungsminister habe er immer die Unabhängigkeit der Wissenschaft respektiert, betonte der CDU-Politiker. Dass Bundesumweltminister Sigmar Gabriel (SPD) politische Manipulation unterstelle, habe "nur mit dem Wahlkampf zu tun".

Merkel kündigt Überprüfung der Vorgänge an

In der Vereinbarung zum Atomkonsens habe auch die Regierung unter Gerhard Schröder (SPD) erklärt, dass die bisher gewonnenen geologischen Befunde einer Eignung des Salzstocks Gorleben zur Endlagerung von Atommüll nicht entgegenstehen. Deshalb sei eine zügige weitere wissenschaftliche Erkundung von Gorleben notwendig.

Bundesumweltminister Sigmar Gabriel (SPD) bestätigte am Mittwoch, dass das Forschungsministerium in einem Fernschreiben Gutachter der Physikalisch-Technischen Bundesanstalt (PTB) zu Änderungen ihrer Expertise aufgefordert hatte. Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) kündigte eine Überprüfung der Vorgänge an.

Gabriel sprach in Hannover von einem "handfesten Skandal". Man habe nun "Belege dafür, dass es eine politischen Einflussnahme auf den Standort gegeben hat". Die damalige Bundesregierung habe sich als verlängerter Arm der Atomwirtschaft verstanden. Bei der Abfassung des Gutachtens im Jahr 1983 habe es zunächst "Warnungen der Wissenschaftler vor dem schwierigen Standort Gorleben gegeben und die Empfehlung, auch andere Standorte zu erkunden", sagte der SPD-Politiker. Diese Warnungen seien jedoch durch politische Einflussnahme ignoriert worden.

"Alle Akten kommen auf den Tisch"

Merkel sicherte Aufklärung über mögliche Manipulationen zu: "Alle Akten kommen auf den Tisch", sagte der stellvertretende Regierungssprecher Klaus Vater zu den Vorwürfen, die Regierung Kohl habe zu vertuschen versucht, dass Gorleben ein "schwieriger Standort" für ein Endlager sei. Das Kanzleramt ließ sich inzwischen vom Umweltministerium die 80 bis 90 Gorleben-Ordner zur Überprüfung vorlegen.

Das PTB-Gutachten aus dem Jahr 1983 war Grundlage der Entscheidung, den Salzstock Gorleben durch den Bau eines Endlagerbergwerkes weiter zu erkunden. In zwei der Nachrichtenagentur AP vorliegenden Entwürfen hatte die Bundesanstalt zunächst eine parallele Erkundung anderer Standorte empfohlen und eine sichere Eignung von Gorleben zunächst nur für die Endlagerung nicht Wärme entwickelnder Abfälle bestätigt. In der dann veröffentlichen Endfassung fehlten diese Einschränkungen.

Änderungswünsche aus dem Forschungsministerium

Dem ging nach Angaben des Verfassers des Gutachtens, Professor Helmut Röthemeyer, eine Besprechung mit Vertretern des Bundeskanzleramtes und mehrerer Ministerien voraus. Das Telex aus dem Bundesforschungsministerium nimmt auf das Gespräch am 11. Mai 1983 in Hannover Bezug und formuliert zwei Tage später ebenfalls Änderungswünsche.

So solle ein Abschnitt über noch nicht abgeschlossene Untersuchungen mit der Aussage beendet werden, dass deren Ergebnisse "die Eignungshöffigkeit des Salzstocks voraussichtlich nicht infrage stellen können". Das Gutachten solle zudem "sinngemäß mit einer Aussage abschließen, dass berechtigte Hoffnung besteht, dass im Salzstock Gorleben ein Endlager für alle Arten von radioaktiven Abfällen eingerichtet werden kann".

BfS-Präsident distanziert sich von Einflussnahme

Der Präsident des Bundesamtes für Strahlenschutz (BfS), Wolfram König, in dessen Behörde die betroffene PTB-Abteilung später aufging, distanzierte sich von jeder politischen Einflussnahme. "Die Vorschläge einer wissenschaftlich-technischen Behörde sind nicht bindend für die Politik, aber die Behörde muss ihre Vorschläge unabhängig von der Politik erarbeiten können", sagte er der Berliner "Tageszeitung".

Der Grünen-Spitzenkandidat Jürgen Trittin forderte eine rückhaltlose Aufklärung der Vorgänge. "Das schwarz-gelbe Lügengebäude, auf dem das Endlager Gorleben errichtet wurde, ist jetzt endgültig in sich zusammengefallen", erklärt er.

Demgegenüber warf die stellvertretende Vorsitzende der Unionsfraktion im Bundestag, Katherina Reiche, Gabriel Wahlkampftaktik vor. Er wolle den Salzstock so diskreditieren, dass er unabhängig von seiner Eignung als Endlagerstandort ausscheide.

(AP/tim)
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