Kohleausstieg bis 2038 Schicht im Schacht

Berlin · Deutschland soll bis 2038 aus der Kohleenergie aussteigen, 16 Jahre nach dem Atomausstieg. Den Umweltverbänden ist das viel zu spät. Aber die Energiewende kommt. Angela Merkel kann ihren ramponierten Ruf als Klimakanzlerin zum Ende ihrer Karriere noch reparieren – wenn sie mutig vorangeht.

 Hubert Weiger (l.), Vorsitzender des BUND, Kai Niebert, Präsident Deutscher Naturschutzring, und Martin Kaiser, Geschäftsführer von Greenpeace, äußern sich im Rahmen einer Pressekonferenz zur Einigung der Kohlekommission.

Hubert Weiger (l.), Vorsitzender des BUND, Kai Niebert, Präsident Deutscher Naturschutzring, und Martin Kaiser, Geschäftsführer von Greenpeace, äußern sich im Rahmen einer Pressekonferenz zur Einigung der Kohlekommission.

Foto: dpa/Jörg Carstensen

Kai Niebert ist Professor für Didaktik und Naturwissenschaften und Nachhaltigkeit, mit Zauberei hat der 39-Jährige nichts am Hut. Alles wird analysiert und berechnet, gelernt und gelehrt. Und nun, nach einer brutal harten Tag- und Nachschicht für den Ausstieg aus der Kohle sitzt der Präsident des Deutschen Naturschutzrings in der Bundespressekonferenz in Berlin, weißes Hemd, blauer Anzug, und sagt diesen Satz: „Dass es zu einem Ergebnis gekommen ist, ist ein Wunder.“

Die Kohlekommission aus Klimaschützern, Gewerkschaftern, Wirtschaftsvertretern und Wissenschaftlern hat sich in den frühen Morgenstunden dieses 26. Januar 2019 auf ein Konzept für das Ende der Kohleenergie in Deutschland geeinigt. Das letzte Kraftwerk soll 2038 vom Netz gehen. Länder, Industrie und Kumpel bekommen Milliardenhilfen. Ein Meilenstein in der deutschen Energiepolitik - auch wenn die Umweltverbände die Frist für die klimaschädliche Stromgewinnung aus Braun- und Steinkohle für zu lang kritisieren.

Es erscheint zwar noch vieles unklar, etwa ob die Strompreise tatsächlich stabil bleiben oder die einzelnen Ausstiegsschritte sowie die Klimaschutzziele wirklich eingehalten werden. Es gibt auch ein Minderheitsvotum der Umweltverbände zu einem früheren Ausstieg. Mit einem Ende der Kohle in knapp 20 Jahren sei die geplante Reduzierung der Treibhausgasemissionen – bis 2030 um 55 Prozent und bis 2050 um 80 bis 95 Prozent im Vergleich zu 1990 - nicht einzuhalten, sagt Greenpeace-Hauptgeschäftsführer Martin Kaiser.

Vereinbart ist, dass 2032 überprüft wird, ob das Ausstiegsdatum angesichts der Lage und im Einvernehmen mit den Betreibern auf frühestens 2035 vorgezogen werden kann. Eigentlich wäre erst in den späten 40er Jahren Schluss gewesen. Als schneller Einstieg in den Ausstieg sollen nun bis 2022 insgesamt 12,5 Gigawatt Kohle-Kapazität aus vom Netz genommen werden – drei Gigawatt Braunkohle mehr als bisher vorgesehen.

Rund ein Drittel des Stroms kommt heute noch aus Kohlekraftwerken.

Fakt ist aber: Es ist Schicht im Schacht. Die Kommission hat nach mehrmonatiger Arbeit ein Ergebnis vorgelegt. Einer der vier Vorsitzenden, Angela Merkels früherer Kanzleramtschef und heutige Bahn-Vorstand Ronald Pofalla, spricht von einem "historischen Tag". "Es ist geschafft", sagt der CDU-Mann, der Rund-um- die-Uhr-Verhandlungen aus unzähligen Koalitionsrunden kennt. Mit ihm ist nicht so leicht Kirschenessen. Er wirkt oft freundlicher, als er dann ist.

Am Freitagabend – da saßen sie schon gut zehn Stunden zusammen, hieß es, die Chancen für eine Einigung stünden nur 50:50. Die Industrie hatte noch einen Packen Änderungsanträge auf den Tisch gelegt. Während dann die Handballnationalmannschaft im Halbfinale der Weltmeisterschaft gegen Norwegen am späten Abend verlor, tagte nur noch ein kleiner Kreis mit Pofalla. Der Rest litt am Fernseher mit den tief enttäuschten deutschen Sportlern mit, aß Pizza oder trank ein Bierchen, wonach auch der Spieler Uwe Gensheimer nach der Niederlage in Hamburg verlangte. Als „Frusttrunk“. So weit war es in Berlin noch nicht.

Die Niederlage konnte hier abgewendet werden. Um kurz vor fünf Uhr morgens wurde der Durchbruch gemeldet. „Sind kurz vor dem Ende“, lautete eine SMS. Es gab aber Irritationen um den Hambacher Wald. Auf Seite 73 des Abschlussberichtes heißt es nur, dass die Kommission es für "wünschenswert" halte, „dass der Hambacher Forst erhalten bleibt“.

Der Wald ist bundesweit zu einem Symbol der Anti-Kohle-Proteste geworden. Er sollte nach dem Willen des Energiekonzerns RWE am Rand des Hambacher Braunkohle-Tagebaus gerodet werden, um die darunterliegende Braunkohle zu fördern. Ein Gericht stoppte die Rodung, die von den Behörden genehmigt war. Im September starb ein Journalist beim Sturz von einer Hängebrücke in dem Wald.

Die Demonstranten und auch Oppositionspolitiker forderten immer wieder, die Ergebnisse der Kohlekommission abzuwarten. RWE hatte aber argumentiert, die Rodung sei zwingend erforderlich, um „einen wichtigen Teil der Stromversorgung Deutschlands nicht zu gefährden“. NRW-Ministerpräsident Armin Laschet (CDU) hatte sich hinter RWE gestellt, soll aber später verärgert gewesen sein, weil die Argumentation mit der Versorgungsgefährdung offensichtlich überzogen war.

Was heißt nun „wünschenswert“? Pofalla sagt: „Wünschenswert ist wünschenswert.“ Das sei eine enorme Entwicklung in der Formulierung, wenn man an die Ausgangslage denke. Man könne es der schwarz-gelben Landesregierung nicht vorschreiben. Kaiser sagt klar: "Der Hambacher Wald ist gerettet." Politisch gebe es nichts mehr zu gewinnen, wenn man weiter Dörfer räume und Wälder rode. Das weiß Laschet selber. Der gesellschaftliche Schaden, den die Auseinandersetzung mit den Bürgern um den alten, wunderschönen Wald angerichtet hat, ist schon längst viel größer als es der Nutzen für die Stromversorgung je hätte sein können.

Der Chef des Bundes für Umwelt und Naturschutz (BUND), Hubert Weiger, warnt auch schon einmal: Der Widerstand im Hambacher Forst sei eine Ermutigung gewesen. Und Barbara Praetorius, Professorin für Nachhaltigkeit, Umwelt- und Energieökonomie und -politik und wie Pofalla Kommissionsvorsitzende sagt, die Energiewende werde von den Bürgern getragen. Ohne die „Wünschenswert-Empfehlung“ hätte es eine weitere Eskalation um den Hambacher Forst gegeben.

Am Ende votierten 27 von 28 stimmberechtigten Kommissionmitgliedern für den Kompromiss auf 300 Seiten. Nur die CDU-Politikerin Hannelore Wodtke stimmte mit Nein. Sie hatte sich besonders für den Erhalt der Dörfer am Rand des Tagebaus eingesetzt. Niebert sagt mit einem Seitenhieb gegen FDP-Chef Christian Lindner, der 2017 die Jamaika-Sondierungen mit der Begründung hatte platzen lassen, es sei besser nicht zu regieren als falsch zu regieren: „Besser schlechter Klimaschutz als gar kein Klimaschutz.“

Wie geht es nun weiter? Jetzt ist die Politik am Zug. Bundesregierung, Landesregierungen, Bundestag, Bundesrat. Die Politik muss mit den Kraftwerksbetreibern Entschädigungen aushandeln oder sie festlegen. Die von der Kommission vorgeschlagenen Maßnahmen sollen einfließen in ein Klimaschutzgesetz, das die Koalition 2019 verabschieden will. Auch für den Strukturwandel soll es ein sogenanntes Maßnahmengesetz geben.

An diesem Donnerstagabend wollen die Ministerpräsidenten mit Bundesfinanzminister Olaf Scholz (SPD) und Merkel beraten. Merkels einstiger Ruf als Klimakanzlerin ist ramponiert, weil sie es in ihren bald 14 Jahren Kanzlerschaft nicht geschafft hat, die deutschen Klimaschutzziele zu verteidigen. Sie könnte nun zum Ende ihrer Karriere – für 2021 hat sie ihren eigenen Ausstieg angekündigt – noch konkrete Schritte in dieser Legislaturperiode für den Kohleausstieg einleiten.

Das Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung (PIK) fordert eine „effektive Bepreisung des klimaschädlichen Kohlendioxids (CO2), um über Marktmechanismen den Ausstieg abzusichern“. Die Umweltverbände verlangen, dass die Milliarden aus Steuermitteln für den Strukturwandel nicht „in den Taschen der Konzerne versickern“. Das Geld müsse bei den Menschen ankommen. Vor allem in der Lausitz, im Mitteldeutschen Revier und im Rheinischen Revier hängen rund 20 000 Arbeitsplätze direkt an der Kohle, indirekt sind es noch deutlich mehr. Die Kommission nennt eine Zahl von rund 60 000 Arbeitsplätzen alleine für die Braunkohle.

Merkel könnte nun mutig vorangehen. Denn die klare Mehrheit der Bürger ist laut Umfragen für die Energiewende, für Klimaschutz, Natur- und Umweltschutz, für saubere Luft und ein gesundes Leben. Die Grünen, die Merkel 2017 gern als Koalitionspartner gehabt hätte, haben im Laufe der Jahre Anerkennung vieler Bürger dafür bekommen, dass sie von Anfang an für die Umwelt gekämpft haben. Unterstützung in der Gesellschaft für einen „grünen Kurs“ ihrer CDU hätte Merkel. Und 2019 ist ein großes Wahljahr. Der Plan für den Kohleausstieg ist nicht der schlechteste Auftakt dafür.

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