Ampel vertagt sich Keine Einigung im Koalitionsausschuss nach 20 Stunden

Update | Berlin · Nach fast 20 Stunden Beratung über die ganze Nacht hat sich der Koalitionsausschuss von SPD, Grünen und FDP im Bund vorerst vertagt. Erst am Dienstag sollen die Gespräche weitergehen. Weiter gibt es viele Streitthemen.

 Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck (l, Bündnis90/Die Grünen) und Omid Nouripour (Bündnis90/Die Grünen), Bundesvorsitzender, kommen zu einem Treffen des Koalitionsausschusses ins Bundeskanzleramt.

Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck (l, Bündnis90/Die Grünen) und Omid Nouripour (Bündnis90/Die Grünen), Bundesvorsitzender, kommen zu einem Treffen des Koalitionsausschusses ins Bundeskanzleramt.

Foto: dpa/Jörg Carstensen

Nach einer nächtlichen Marathonsitzung im Kanzleramt hat der Koalitionsausschuss von SPD, Grünen und FDP seine Beratungen am Montagnachmittag unterbrochen. Die Verhandlungen würden am Dienstag fortgesetzt, teilten die Ampel-Parteien mit.

„Der Koalitionsausschuss habe zu wichtigen Modernisierungsthemen des Landes getagt“, hieß es in einer Mitteilung. „Dabei sind die Beteiligten in vertrauensvollen und konstruktiven Gesprächen weit vorangekommen, haben die Sitzung aber aufgrund der deutsch-niederländischen Regierungskonsultationen in Rotterdam unterbrochen.“ Die Gespräche würden am Dienstagvormittag fortgesetzt. Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) und andere Minister machten sich am Nachmittag auf den Weg nach Rotterdam. Noch am Montagmittag hatte es Hinweise auf eine Einigung gegeben.

Die Spitzen der Ampel-Parteien hatten seit dem frühen Sonntagabend (27.03.2023) annähernd 20 Stunden im Kanzleramt beraten. Vor dem Treffen zeigte sich Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) optimistisch, dass es konkrete Ergebnisse geben würde.

Vor dem Hintergrund der andauernden Gespräche der Koalition hatte die FDP beretis ihre Präsidiumssitzung und die anschließende Pressekonferenz an diesem Montag abgesagt – geplant waren sie ursprünglich für 10 Uhr beziehungsweise 11.30 Uhr. Auch die Grünen sagten die nach ihren Gremiensitzungen am Montag übliche Pressekonferenz „aufgrund der aktuellen politischen Lage“ ab. Die für 14 Uhr geplante PK mit Co-Parteichefin Ricarda Lang entfalle.

Oppositionspolitiker werteten die Vertagung des Koalitionsausschusses umgehend als Zeichen für die Handlungsunfähigkeit der Koalition. „19 Stunden Dauerstreit im Kanzleramt ohne Ergebnis. Diese Bundesregierung ist stehend k.o.“, sagte CDU-Chef Friedrich Merz den Zeitungen des Redaktionsnetzwerks Deutschland (RND). Merz warf den Ampel-Parteien vor, das Volk aus den Augen zu verlieren. „Die Koalition aus FDP, Grüne und SPD sollte sich klarmachen, für wen sie eigentlich arbeitet“, forderte er in den RND-Zeitungen die Beteiligten zur Klärung ihrer Streitfragen auf. „Anstatt endloser Streitigkeiten braucht es jetzt Entscheidungen - zum Wohle unseres Landes“, hob der CDU-Chef hervor. „Diese Regierung wurde gewählt, damit sie das Land regiert und nicht untereinander blockiert.“

Kritik gab es auch von anderen Politikern der Opposition. „Wird die selbsternannte 'Fortschrittskoalition' mangels Fortschritts durch unsere übernächtigte Bundesregierung allmählich zum Sicherheitsrisiko für die Bundesrepublik Deutschland?“, schrieb CDU-Generalsekretär Mario Czaja auf Twitter.

CSU-Generalsekretär Martin Huber schrieb: „Keine Einigungen, Dauerstreit und nichts geht voran - es wird offenbar auch im Koalitionsausschuss der Ampel gestreikt.“ Linken-Fraktionschef Dietmar Bartsch kritisierte das Vorgehen der Koalition als „völlig inakzeptabel“. Er fügte hinzu: „Das verunsichert die Bürger.“

Die Spitzen der Ampel-Koalition wollten im Berliner Kanzleramt eine lange Liste von Streitpunkten abarbeiten. Dazu zählen die Zukunft des Autobahnbaus, der Ausstieg aus Öl- und Gasheizungen und die Finanzierung der geplanten Kindergrundsicherung.

Monatelang hatte die Koalition gestritten ob nur Bahnstrecken und Brücken schneller gebaut werden sollen oder auch Autobahnen. Letzteres wollte die FDP. Ihr Argument: Der Güterverkehr auf der Straße werde deutlich zunehmen, Staus müssten verhindert werden. Die Grünen lehnten einen schnelleren Ausbau von Autobahnen kategorisch ab. Sie forderten stattdessen, die bundeseigene Bahn deutlich zu stärken.

Die Grünen wollten vor allem Anstrengungen für mehr Klimaschutz im Verkehr und hatten Druck auf Verkehrsminister Volker Wissing (FDP) gemacht. Er schulde seit vielen Monaten ein Sofortprogramm mit ausreichend Maßnahmen, die den CO2-Ausstoß im Verkehr dauerhaft senkten. Die FDP lehnt Vorschläge wie ein generelles Tempolimit auf deutschen Autobahnen und den Abbau bestimmter Subventionen bislang kategorisch ab. Stattdessen pocht sie darauf, dass in der EU auch nach 2035 noch Verbrenner zugelassen werden dürfen, die mit Ökostrom erzeugte künstliche Kraftstoffe tanken.

In den vergangenen Wochen war der Ton in der Koalition deutlich rauer geworden. Vizekanzler Robert Habeck (Grüne) hatte sogar einen Vertrauensbruch moniert, weil ein Gesetzentwurf zum Austausch von Öl- und Gasheizungen aus seinem Haus an die Medien durchgestochen wurde.

FDP-Politiker mahnten vor dem Koalitionsausschuss wiederholt Disziplin beim Geldausgeben an - vor allem mit Blick auf den nun ausstehenden Bundeshaushalt für 2024. FDP-Generalsekretär Bijan Djir-Sarai sagte vor dem Gipfel: „Alle Koalitionsparteien müssen die aktuellen finanzpolitischen Realitäten anerkennen. Dazu zählt die Einhaltung der Schuldenbremse und eine Priorisierung der Staatsausgaben.“

Die Erste Parlamentarische Geschäftsführerin der Grünen, Irene Mihalic, sagte im ARD-„Morgenmagazin“: „Wir haben eine Menge Aufgaben vor uns, die wir akut bewältigen müssen, insbesondere im Bereich der Klimakrise.“ Es sei zwar schon viel erreicht worden beim Ausbau erneuerbarer Energien, nun müsse man aber auch auf andere Bereiche schauen. Sie nannte das Heizen im Gebäudesektor und den Verkehr.

Mihalic sprach den Vorschlag zum schrittweisen Heizungstausch von Wirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) und Bauministerin Klara Geywitz (SPD) an. „Das sind natürlich auch wichtige Punkte, über die muss intensiv diskutiert werden. Und wenn dafür der Preis eine Nachtsitzung ist, dann bitte. Aber Hauptsache ist, dass wir da wirklich intensiv um Lösungen ringen.“ Sie verteidigte die Pläne, die ab 2024 einen Einbau neuer Heizungen vorsehen, die je zu mindestens 65 Prozent mit erneuerbaren Energien betrieben werden. Das sei nötig, um Planbarkeit sicherzustellen.

Dem Koalitionsausschuss gehören die Partei- und Fraktionschefs der drei Ampel-Parteien sowie der Kanzler und mehrere Minister an - insgesamt fast 20 Politiker. Im Koalitionsvertrag hatten sich SPD, Grüne und FDP darauf verständigt, dass das Gremium monatlich zusammenkommt, „um grundsätzliche und aktuelle politische Fragen miteinander zu diskutieren und die weitere Arbeitsplanung miteinander abzustimmen“. In der Praxis tagte das Gremium bisher allerdings deutlich seltener.

(mzu/hebu/AFP/dpa/Reuters)
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