Milliarden-Investitionen Mehrwertsteuer-Senkung und Kinderbonus – Koalitionsspitzen einigen sich

Berlin · Die Beratungen der großen Koalition über das Konjunkturpaket in der Corona-Krise haben ein Ende gefunden. Noch in der Nacht kam die erste Kritik am 130 Milliarden schweren Konjunkturpaket.

 Kanzlerin Angela Merkel auf der Pressekonferenz am Mittwochabend.

Kanzlerin Angela Merkel auf der Pressekonferenz am Mittwochabend.

Foto: dpa/John Macdougall

Die Koalitionsspitzen von CDU, CSU und SPD haben sich nach zweitägigen, zähen Verhandlungen auf ein milliardenschweres Konjunkturpaket zur Ankurbelung der Wirtschaft in der Corona-Krise geeinigt. Mit den Maßnahmen im Gesamtvolumen von 130 Milliarden Euro in den Jahren 2020 und 2021 sollen Verbraucher, Kommunen, Familien und Unternehmen gestützt werden. Davon sollen 120 Milliarden Euro auf den Bund entfallen, zehn Milliarden auf die Länder. Das Paket soll mit neuen Schulden finanziert werden. Dafür wird voraussichtlich ein zweiter Nachtragshaushalt des Bundes notwendig, die Schuldenbremse muss ein zweites Mal ausgesetzt werden.

Die langwierigen Gespräche im Kanzleramt glichen in ihrer Ausführlichkeit Koalitionsverhandlungen. Eine Liste von mehr als 60 Vorschlägen lag auf dem Tisch. Am Ende konnte jeder Koalitionspartner punkten, musste aber auch auf Lieblingsprojekte verzichten. So konnte die CSU nicht durchsetzen, dass neue Auto-Kaufprämien auch für Verbrenner eingeführt werden. Die Regierung beschränkt sie auf Elektro-Autos. SPD-Finanzminister Olaf Scholz musste zudem auf seinen Plan einer Altschuldenhilfe für besonders verschuldete Kommunen verzichten.

Es gehe um eine „mutige Antwort“ auf die Krise, sagte Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) am späten Mittwochabend. Die Mehrwertsteuer solle vom 1. Juli bis 31. Dezember 2020 von 19 auf 16 Prozent gesenkt werden, um den privaten Konsum zu stützen. Der niedrigere Satz werde von sieben auf fünf Prozent reduziert. „Wir erhoffen uns davon eine breite Belebung.“ Die Regierung spreche zudem eine „Sozialgarantie“ aus, mit der die Summe der Sozialbeiträge durch den Einsatz von Haushaltsmitteln bei 40 Prozent der Bruttogehälter stabilisiert werde. Die Ökostrom-Umlage solle ebenfalls mit Haushaltsmitteln gesenkt werden, sagte Merkel.

Der Bund werde auch die Gewerbesteuerausfälle der Kommunen 2020 und 2021 ausgleichen und die Gemeinden bei den Unterkunftskosten für Hartz-IV-Empfänger unterstützen, sagte Merkel. Zudem werde ein einmaliger Bonus von 300 Euro für jedes Kind eingeführt. Ein zentraler Punkt sei auch ein „Zukunftspaket“ für die Wirtschaft im Umfang von 50 Milliarden Euro. Es solle unter anderem helfen, die Mobilität auf klimaschonende Antriebe umzustellen.

„Wir wollen mit Wumms aus der Krise kommen“, sagte Vizekanzler Olaf Scholz (SPD). Die Regierung erwarte „dringend“, dass die Unternehmen die Senkung der Mehrwertsteuer an die Verbraucher weitergeben und die Preise entsprechend senken. CSU-Chef Markus Söder nannte die Mehrwertsteuersenkung das „Herzstück“ des Konjunkturpakets. Sie sei eine Idee der Union gewesen, und er sei froh, dass die SPD hier mitgezogen habe.

Die Verhandlungen waren mehrfach unterbrochen worden. Union und SPD verwiesen jeweils auf die andere Seite, die Einigungsbedarf untereinander hatte. Nach Informationen unserer Redaktion war es besonders schwierig eine Einigung auf Finanzhilfen für die Kommunen zu finden. Dem Vernehmen nach zeigten die beiden SPD-Vorsitzenden Saskia Esken und Norbert Walter-Borjans Sympathie für den Vorschlag der Union, die Kommunen bei den Unterkunftskosten für Hartz-IV-Empfänger zu entlasten, während Scholz lange auf seinem Konzept einer Altschuldenhilfe bestanden haben soll.

Die Präsidentin des Sozialverbands VdK, Verena Bentele, kritisierte den Kinderbonus scharf. „Der Familienbonus wird verbrennen wie ein Strohfeuer“, sagte Bentele unserer Redaktion. Zielgenauer wäre es gewesen, nur arme und bedürftige Familien zu unterstützen. „Wenn der Familienbonus im Sparschwein oder im Aktienfonds landet, verpufft der Konjunkturimpuls. Wer echte finanzielle Sorgen hat, dem helfen 300 Euro gar nichts“, sagte die VdK-Chefin.

Der Hauptgeschäftsführer des Städte- und Gemeindebunds, Gerd Landsberg, begrüßte die Einigung. „Der Deutsche Städte- und Gemeindebund ist erleichtert, dass die Koalitionspartner einen klaren Rettungsschirm für die Kommunen formuliert haben“, sagte Landsberg. Das beschlossene Konjunkturprogramm mit einem starken kommunalen Baustein gebe den Städten und Gemeinden den notwendigen Spielraum, um 2020 und 2021 notwendige Investitionen auf den Weg zu bringen. „Das ist das Signal, auf das die Bürgerinnen und Bürger sowie die Wirtschaft gewartet haben“, so Landsberg. „Richtig und längst überfällig ist auch die zusätzliche Beteiligung des Bundes an den Sozialkosten. Wenn coronabedingt immer mehr Menschen zusätzliche Sozialleistungen geltend machen, muss der Bund einspringen, denn es handelt sich um eine gesamtgesellschaftliche Herausforderung“, sagte Landsberg. „Wir begrüßen, dass die erhöhte Übernahme der Kosten der Unterkunft auch über das Jahr 2021 hinaus zugesagt wurde“, sagte Landsberg. Die Altschuldenhilfe für besonders hochverschuldete Kommunen sei zwar nicht Bestandteil der Einigung, bleibe aber auf der politischen Agenda.

Oppositionspolitiker haben das von der großen Koalition vereinbarte Konjunkturprogramm gegen die Folgen der Corona-Krise größtenteils scharf angegriffen.

Linken-Chef Bernd Riexinger kritisierte das geplante Konjunkturpaket der großen Koalition als „vertane Chance“. „Die soziale Absicherung sehr vieler Menschen in der Krise fehlt“, schrieb Riexinger am späten Mittwochabend auf Twitter.

Es seien zwar "sinnvolle Entscheidungen für Kommunen und Familien" getroffen worden, erklärte Linksfraktionsvize Dietmar Bartsch in der Nacht zum Donnerstag. Jedoch sei in dem Paket auch "viel Stückwerk und Strohfeuer". Das Programm sei "wenig zielgenau, wenig nachhaltig und unfassbar teuer".

Die vorübergehende Senkung der Mehrwertsteuer bezeichnete Bartsch als "ökonomisch widersinnig". Zugleich finde sich in dem Paket zu wenig zu den Themen Bildung und Zukunft - dafür "viel Lobbyismus".

Der Klimaexperte der Linksfraktion, Lorenz Gösta Beutin, lobte die Entscheidung der Koalition gegen eine Kaufprämie für Benzin- und Dieselautos. Jedoch würden die Beschlüsse "einen echten ökologischen Neustart in Deutschland nicht auslösen".

Beutin kritisierte konkret, dass Corona-Hilfen für Unternehmen nicht an verbindliche Klimavorgaben geknüpft würden. Für die Klima-Rettung habe die Koalition "eine große historische Chance vertan".

Auch die Umweltschutzorganisation Greenpeace urteilte, das Konjunkturpaket sei "bestenfalls blassgrün". Einige sinnvolle Investitionen in Klimaschutz würden "überlagert von vielen Maßnahmen, die Geld pauschal mit der Gießkanne verteilen, etwa über die gesenkte Mehrwertsteuer", erklärte der Greenpeace-Klimaexperte Tobias Austrup.

Die Regierung verpasse damit "eine historische Chance auf einen ökologischen Aufbruch", beklagte Austrup. Er forderte die Bundestagsabgeordneten auf, das Paket in dieser Hinsicht nachzubessern.

FDP-Fraktionsvize Michael Theurer befand, das Konjunkturprogramm enthalte zwar "einige gute, wichtige Aspekte", etwa die temporäre Senkung der Mehrwertsteuer. Insgesamt aber habe sich die Koalition "mit diesem wilden Sammelsurium an unausgegorenen, sehr teuren, aber ineffizienten Vorschlägen mächtig verstolpert".

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