Die neue soziale Frage Klimaschutz darf nicht auf Kosten der Armen gehen

Düsseldorf · Die Folgen einer rigorosen Umweltpolitik setzen vor allem den ärmeren Menschen zu und und verschärfen die Entfremdung zwischen den politischen Eliten und den Betroffenen. Das kann nicht mehr lange gut gehen. Eine Analyse.

 Demonstranten gehen mit Transparent auf der B14, Neckartor in Stuttgart.

Demonstranten gehen mit Transparent auf der B14, Neckartor in Stuttgart.

Foto: dpa/Oliver Willikonsky

Es war keine besonders mächtige Demonstration, als am letzten Januarwochenende gut 1000 Menschen in Stuttgart im dichten Schneetreiben gegen ein drohendes Dieselfahrverbot in ihrer Stadt protestierten. Aber es könnte nur der Anfang gewesen sein. Viele der Demonstranten  trugen gelbe Warnwesten, das Symbol der Protestwelle, die Frankreichs Präsidenten Emmanuel Macron seit Wochen in Atem hält. Das ist kein Zufall: In vielen westlichen Industriestaaten sorgt die Umweltpolitik für eine zunehmende Entfremdung zwischen den Eliten und jenen, die man früher wohl die „kleinen Leute“ genannt hätte.

In Frankreich zeigt sich derzeit am nachdrücklichsten, wie scharf der Klimaschutz eine Gesellschaft spalten kann. Auslöser für die vehementen Proteste war eine  geplante Ökosteuer auf Benzin, die die fossilen Treibstoffe verteuern sollte, um Anreize zur Einsparung von CO2 zu schaffen. Es ging dabei um zunächst 6,5 Cent pro Liter. Ein Betrag, der dem Präsidenten, seinen Beratern und gutverdienenden Großstädtern, die nicht unbedingt auf ein Auto angewiesen sind, lächerlich gering erschienen sein mag. Für jene Franzosen aber, die auf dem Land leben, jeden Cent zweimal umdrehen müssen und deswegen auch nicht die Kaufprämie für ein schickes neues Elektroauto abgreifen können, für das es ohnehin keine Ladesäule gäbe, handelt es sich um eine existenzielle Frage. Und der moralisierende Ton, mit dem man ihre Klagen zunächst von oben herab abtat, tat ein Übriges, um die Wut explodieren zu lassen.

Es ist eine schlichte Wahrheit, dass rigorose Umweltschutzmaßnahmen vor allem die ärmeren Menschen treffen – auch in Deutschland. Wer fährt denn die alten Autos, die jetzt aus vielen Innenstädten verbannt werden sollen? Und wer wird künftig womöglich ganz aufs Autofahren verzichten müssen, wenn selbst elektrisch angetriebene Kleinwagen für Geringverdiener unerschwinglich werden? Für die Besserverdienenden bedeutet mehr Klimaschutz eine verschmerzbare Umstellung ihres Konsumverhaltens; für die wirtschaftlich Abgehängten bedeutet er womöglich Verzicht auf Konsum.

Die soziale Umverteilung von unten nach oben im Namen einer Rettung des Weltklimas findet bereits seit einigen Jahren statt. In Deutschland lässt sie sich am besten aus dem Flugzeug beobachten. Da glitzern auf den Dächern ganzer Siedlungen schmucker Einfamilienhäuser die kräftig subventionierten Solarpanele, da drehen sich die Rotoren der Windkraftanlagen, in deren Bau wohlsituierte Bürger mit Aussicht auf eine garantierte Rendite ihr Erspartes investieren können. Wer dagegen weder Sparbuch noch Immobilien besitzt, kann von der Energiewende nicht profitieren, er muss ihre finanziellen Folgen erdulden.

 Derzeit werden für private Verbraucher 6,4 Cent EEG-Umlage pro Kilowattstunde fällig. Für einen vierköpfigen Haushalt macht das gut 200 Euro Mehrkosten im Jahr aus. Das tut Mittelschichtbürgern nicht besonders weh, aber für ärmere Familien ist das viel Geld. Rund 350.000 Haushalten wurde im vergangenen Jahr der Strom abgedreht, weil sie ihre Rechnungen nicht mehr bezahlen konnten. An mehrere Millionen Kunden versandten die Versorger blaue Briefe, weil sie mit den Zahlungen im Rückstand waren.

Viele sicherlich gutgemeinte Maßnahmen schießen auch einfach übers Ziel hinaus – mit erheblichen sozialen Folgen. So sind die Vorschriften für die energetische Dämmung von Neubauten in den vergangenen Jahren kontinuierlich verschärft worden. Nur, dass der zusätzliche Spareffekt durch immer dickere Dämmplatten nach Auskunft von Bauphysikern inzwischen gegen Null tendiert. Allein die Kosten fürs Bauen, die steigen immer weiter – nach Auskunft der Branchenverbände um rund sieben Prozent durch die letzte Änderung der Energieeinsparverordnung. Dabei lässt der eklatante Mangel an preiswertem Wohnraum schon jetzt in vielen Regionen die Mieten explodieren. Und auch das trifft besonders hart jene, die sich schwer tun, eine bezahlbare Wohnung zu finden.

Populisten von links und rechts haben die soziale Schieflage der Umweltschutzpolitik inzwischen als Argument für ihre These vom Verrat der Eliten am Volk erkannt. In Ländern wie den USA oder Brasilien hat das dazu beigetragen, Männer ins Präsidentenamt zu bringen, die die Erderwärmung für ein Märchen halten und den Enttäuschten des ökologischen Umbaus eine Rückkehr in die gute alte Zeit der rauchenden Schlote und der brummenden Fabriken versprechen. Umweltschutz ist in dieser Logik nichts fürs Volk, sondern ein verschrobener Luxus für die reichen Schichten, die sich auch Bio-Fleisch und ökologisch korrekte Kleidung leisten können.

Und glauben wir bloß nicht, so etwas sei in Europa nicht auch möglich. Wenn wir zulassen, dass sich die Gesellschaft weiter in Gewinner und Verlierer des Klimaschutzes aufspaltet, wird das gesamte Projekt scheitern. Die Klagen der Betroffenen, darf man nicht einfach abtun als Mangel an ökologischer Weitsicht oder gar an Solidarität. In einer Demokratie muss Politik den Anspruch erheben, von möglichst vielen Menschen verstanden zu werden. Mit dem moralischen Zeigefinger verändert man kein Verhalten, keine Gesellschaft.

Deswegen ist es so wichtig, dass bei den großen Einschnitten, die uns der Klimaschutz in den kommenden Jahren wohl noch abverlangen wird, die Lasten gerechter verteilt werden. Und auch nachvollziehbarer: Die Bürger für einen minimalen ökologischen Grenznutzen mit Verboten und Sanktionen zu traktieren, ist ebenso nutzlose wie gefährliche Symbolpolitik. Auch für Umweltschutzpolitik gilt, dass sie verhältnismäßig und sozialverträglich sein muss. Sonst wird sie scheitern.

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