Greta Thunberg im Kanzleramt „Merkel hat die Chance, Anführerin zu werden“

Berlin · Die Klimaaktivistinnen Greta Thunberg und Luisa Neubauer fordern von Angela Merkel bei einem Treffen im Kanzleramt ehrgeizigere Klimaschutzziele. Die Regierungschefin nahm sich 90 Minuten Zeit.

 Begegnung auf Abstand: Angela Merkel mit Luisa Neubauer (l.) und Greta Thunberg im internationalen Konferenzsaal des Bundeskanzleramts.

Begegnung auf Abstand: Angela Merkel mit Luisa Neubauer (l.) und Greta Thunberg im internationalen Konferenzsaal des Bundeskanzleramts.

Foto: dpa/Steffen Kugler

(dpa/mar) In brütender Hitze, in Sichtweite des Kanzleramts, machte Greta Thunberg klar, was sie von Angela Merkel erwartet. „Wir wollen, dass Anführer aktiv werden und die Klimakrise wie eine Krise behandeln“, sagte die 17-jährige Schwedin und weltberühmte Klimaaktivistin am Donnerstag, nachdem sie und drei Mitstreiterinnen von „Fridays for Future“ mit der Bundeskanzlerin gesprochen hatten. „Sie hat eine riesige Verantwortung, aber auch eine riesige Chance, so eine Anführerin zu werden.“

90 Minuten sind viel Zeit im hektischen Politik-Alltag, doch die nahm Merkel sich für den Besuch. Thunberg, die deutsche Aktivistin Luisa Neubauer und die Belgierinnen Anuna de Wever van der Heyden und Adélaïde Charlier hatten sich das Gespräch gewünscht. „Beide Seiten waren sich einig, dass die Erderwärmung eine globale Herausforderung ist, bei deren Bewältigung den Industriestaaten eine besondere Verantwortung zukommt“, ließ Merkel im Anschluss mitteilen. „Basis dafür ist die konsequente Umsetzung des Pariser Klimaabkommens.“

Allerdings verstehen Spitzenpolitiker und Klimaaktivisten darunter nicht dasselbe. „Es wurde sehr deutlich, dass wir von verschiedenen Perspektiven auf die Situation schauen“, sagte Neubauer. Als Physikerin verstehe Merkel die Wissenschaft. Als Politikerin verstehe sie die politische Komplexität. Die Frage sei nun, wie man diesen Graben überbrücke.

So viel lässt sich sagen: Die Antwort fanden die fünf Frauen im Kanzleramt nicht. Merkel, 66, ist berufsbedingt eine Meisterin des Kompromisses, während Thunberg für ihre Kompromisslosigkeit im Kampf gegen den Klimawandel berühmt ist. Genau zwei Jahre vor diesem Treffen, am 20. August 2018, hatte sie mit ihren wöchentlichen „Schulstreiks fürs Klima“ begonnen. „Fridays for Future“ – „Freitage Freitage für die Zukunft“ – entwickelte sich zu einer weltweiten Bewegung, die in Deutschland besonders viele Anhänger hat.

In Brüssel geht es derzeit unter deutscher Ratspräsidentschaft um die Verschärfung des EU-Klimaziels für 2030. Merkel und die EU-Kommission haben 50 bis 55 Prozent weniger Treibhausgase als 1990 vorgeschlagen. „Wir haben sie natürlich aufgefordert, weiter zu gehen, denn derzeit erreichen die Ziele nicht das Pariser Abkommen“, sagte die Belgierin Charlier.

 Der Bundesverband der Deutschen Industrie (BDI) warnte die Bundesregierung jedoch vor zu ambitionierten Klimaschutzzielen. „Die Gefahr ist groß, dass der Unterschied der klimapolitischen Ambitionen zwischen Europa und anderen Weltregionen weiter wächst. Das ist für die heimische Industrie eine immer größere Herausforderung“, sagte der stellvertretende BDI-Hauptgeschäftsführer Holger Lösch. „Darauf muss die Politik unbedingt Antworten finden. Nur so kommt die Wirtschaft in Europa wirklich klimaschützend und nachhaltig aus der Corona-Krise“, sagte Lösch. Für die Wirtschaft komme es entscheidend auf Planungssicherheit an. „Viele Unternehmen stehen jetzt vor tiefgreifenden Ersatzinvestitionen, die Produktionsprozesse bis ins Jahr 2050 vorbereiten. Deshalb ist es zentral, dass die Politik in Deutschland und Europa dringend mehr Planungssicherheit und berechenbare Investitionsbedingungen schafft“, sagte Lösch. Industrie und Energiewirtschaft hätten im vergangenen Jahr 90 Prozent der Treibhausgasminderungen Deutschlands geleistet. „Das belegt: Industrie und Energiewirtschaft nehmen Klimaschutz ernst“, sagte Lösch mit Blick auf das Treffen der Klimaschutzaktivistinnen  mit Kanzlerin Merkel.

(dpa/mar)
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