Union und SPD nähern sich an Kleine Schritte zur großen Koalition

Berlin · Öffentlich wird gestritten, hinter den Kulissen verhandelt. Union und SPD kommen sich in der Europa- und Sozialpolitik immer näher. Angela Merkel will der SPD im Bundestagswahlkampf keine Angriffsfläche bieten. Die FDP würde lieber einen strikten Lagerwahlkampf führen.

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Foto: dpa, Klaus-Dietmar Gabbert

SPD-Generalsekretärin Andrea Nahles hat sich vergangene Woche Wahlkampftipps bei den Demokraten in den USA geholt. Bei einem Parteiabend in Berlin erzählt sie später gut gelaunt, wie in Amerika sogar der politische Gegner bei Parteitagen mitdiskutieren darf. Wie viel davon sie allerdings auf die SPD übertragen will, lässt sie offen.

CDU-Politiker als Mitdiskutanten beim nächsten Parteitag der Genossen? So schnell geht es noch nicht. Doch der Kuschelkurs zwischen den großen Parteien CDU und SPD ist im politischen Berlin allenthalben zu besichtigen. Wird da bereits die nächste große Koalition vorbereitet?

Am Mittwoch bei der Generaldebatte im Bundestag: Kanzlerin Angela Merkel ist gerade erst hereingetreten, da schreitet sie demonstrativ durch den Plenarsaal zu SPD-Chef Sigmar Gabriel herüber, um ihn ausführlich zu begrüßen. Herzlich, vertraut wirkt das Aufeinandertreffen. Ein paar Minuten stehen sie dort, sprechen leise. Die Kameras registrieren die Szene.

Wenig später sieht man Wolfgang Schäuble mit Franz Müntefering, dem früheren SPD-Parteichef, und mit Peer Steinbrück, dem Finanzminister der Großen Koalition, reden. Hinter den Kulissen hat Merkel in der Europapolitik immer wieder mit Sozialdemokraten verhandelt. Ihr Kanzleramtschef Ronald Pofalla hält einen engen Draht zu führenden SPD-Politikern. Gerne wäre Merkel auch beim Thema Altersarmut mit der SPD zu einem Kompromiss gekommen. Doch der Koalitionspartner FDP roch den Braten und schreckte auf. Nun wird erst in der Koalition verhandelt. Eigentlich eine Selbstverständlichkeit.

Die SPD will offiziell von großkoalitionären Gedankenspielen nichts hören. Die Wunden sind bei vielen noch nicht verheilt. 2009 wurde die SPD bei der Bundestagswahl abgestraft, nach vier Jahren Koalition mit der CDU. Die SPD hätte zwar Merkel "sozialdemokratisiert", ihren eigenen Markenkern aber verloren, lautet die Kritik. Der Weg aus der Talsohle nach der Schlappe von 2009 war lang und steinig. Das hat Parteichef Sigmar Gabriel nicht vergessen, der der SPD erst Demut und schließlich einen sanften Linkskurs verordnete.

Nun will die SPD nur noch für Rot-Grün kämpfen, auch wenn die Umfragen eine Mehrheit derzeit nicht hergeben. Inzwischen gilt in der SPD sogar die Ampel-Koalition mit der verhassten FDP als mögliche Variante. Bloß nicht wieder Juniorpartner der Union. Die Konstellation macht vor allem SPD-Fraktionschef Frank-Walter Steinmeier zu schaffen, der gestern den "Zukunftskongress" der Fraktion in Berlin eröffnete und als möglicher Kanzlerkandidat gilt. Steinmeier schätzt Merkel aus der guten Zusammenarbeit, er weiß auch, dass viele Deutsche sich ihn gut als Vizekanzler vorstellen können. Doch als Merkel-Herausforderer hätte Steinmeier Schwächen.

Wie soll der gemäßigte Sozialdemokrat eine Wechselstimmung gegen die beliebte Kanzlerin erzeugen? Was wäre "die Geschichte Steinmeiers" für die Wahl, fragen sich führende Genossen. Es ist auch kein Geheimnis, dass Frank-Walter Steinmeier von vielen in der Union geschätzt wird. Einem erneuten Bündnis mit der CDU würde er vermutlich mit deutlich weniger Schrecken entgegensehen als Parteichef Sigmar Gabriel. Wie soll man da in eine Schlacht ziehen?

Steinmeier will sich inhaltlich profilieren. Acht Projektgruppen haben unter seiner Führung seit 2011 an dem "Modernisierungsprogramm für Deutschland" gearbeitet. Unter dem Titel "So wollen wir morgen leben" wurde eine Vision für "Deutschland 2020" entwickelt. Die sprachliche Analogie zur Agenda 2010 von Ex-Kanzler Gerhard Schröder ist gewollt. "Vor zehn Jahren mussten wir Deutschland in einer Situation der Schwäche neu aufstellen. Heute haben wir die einmalige Chance, unser Land aus einer Position der Stärke zu modernisieren", sagt Steinmeier. In dem 100 Seiten starken "Zukunftsprogramm" erklärt die Fraktion, wie sie weniger Schulden, mehr Bildung, eine "neue Ordnung auf dem Arbeitsmarkt" und ein Miteinander der Generationen realisieren will.

Anknüpfungspunkte mit der Union gäbe es bei allen Themen. In der Euro-Krise war die SPD für Merkel gelegentlich der verlässlichere Partner. Auch in der Sozialpolitik kamen Gemeinsamkeiten zum Vorschein. Die Zuschussrente von Arbeitsministerin Ursula von der Leyen (CDU) gleicht dem Rentenkonzept der SPD. Und die CDU-Ministerpräsidentin von Thüringen, Christine Lieberknecht, stellte diese Woche mit ihrem SPD-Wirtschaftsminister Matthias Machnig ein Mindestlohnkonzept vor. Die FDP schaut dem Treiben bisher ratlos zu. Ihre seit Wochen vorgetragene Bitte nach einem Termin für einen Koalitionsausschuss wurde bisher nicht entsprochen.

(brö)
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