Gastbeitrag von Ulrich Blum "Kirchenaustritt ist Steuerhinterziehung"

Halle (RPO). Der Wirtschaftswissenschaftler Ulrich Blum aus Halle hat mit der Forderung nach einer Ethiksteuer für Nicht-Kirchenmitglieder eine aufgeregte Debatte ausgelöst. In einem Gastbeitrag für unsere Redaktion verteidigt der Präsident des Instituts für Wirtschaftsforschung die umstrittene Sonderabgabe. Wer aus der Kirche austrete, könne schließlich weiterhin die Infrastruktur nutzen, argumentiert er.

Halle (RPO). Der Wirtschaftswissenschaftler Ulrich Blum aus Halle hat mit der Forderung nach einer Ethiksteuer für Nicht-Kirchenmitglieder eine aufgeregte Debatte ausgelöst. In einem Gastbeitrag für unsere Redaktion verteidigt der Präsident des Instituts für Wirtschaftsforschung die umstrittene Sonderabgabe. Wer aus der Kirche austrete, könne schließlich weiterhin die Infrastruktur nutzen, argumentiert er.

Gastbeitrag von Ulrich Blum

Die Religionsgemeinschaften, die als Körperschaften des öffentlichen Rechts anerkannt sind, erheben Kirchensteuern prozentual zur Einkommensteuerlast. Viele der von ihnen finanzierten Leistungen kommen der Allgemeinheit zugute. Denn in Deutschland werden viele soziale Aufgaben von wohltätigen Organisationen wie den Kirchen als Ausdruck des Subsidiaritätsprinzips übernommen. Diesem Prinzip zufolge sind dort, wo dies möglich ist, Aufgaben auf kleinere oder nach gelagerte Einheiten zu übertragen. Teile ihrer Aufwendungen erhalten diese Gemeinschaften ersetzt, aber eben nur Teile; erhebliche finanzielle Leistungen tragen sie selbst — und noch mehr durch ehrenamtliches persönliches Engagement — von der Kirchenmusik bis hin zur Alten- und Sterbebetreuung.

Von diesen sogenannten öffentlichen Gütern kann niemand ausgeschlossen werden. Darüber hinaus werden auch Leistungen finanziert und organisiert, die zunächst den Glaubensgemeinschaften selbst zugute kommen sollen, beispielsweise die Sakramente; die Ökonomen nennen diese "Clubgüter". Tatsächlich ist aber auch hier der Ausschluss von Nichtmitgliedern annähernd unmöglich.

Auch wer austritt, nutzt die Infrastruktur

Üblicherweise werden öffentliche Güter vom Staat bereitgestellt und durch Steuern finanziert. Diese Verpflichtung zur Steuerzahlung gilt bei den Glaubensgemeinschaften nur für den Fall der Mitgliedschaft. Tritt man aus, so verliert man niemals Zugang zu den öffentlichen Güter und faktisch auch selten nur zu den Clubgütern: Den Kindern der Eltern, die beide aus der Kirche ausgetreten sind, bleibt der Zugang zum katholischen Kindergarten offen; die konfessionellen Schulen werden insbesondere auch von liberalen Freidenkern als besonders gute Bildungsstätten geschätzt; Krankenhäuser oder Altersheime unter kirchlicher Trägerschaft nehmen alle Bedürftigen auf. Der Gastwirt, der in der Stadt mit Dom und Bischofssitz der Kirche den Rücken gekehrt hat, profitiert weiter von den Touristen, die dieses kulturprägende Zentrum besuchen.

Wenn zu viele der Kirche den Rücken kehren, dann wird der Staat diese öffentlichen Aufgaben übernehmen müssen und viel ergänzendes bürgerliches Engagement bräche weg: Die Kirchensanierung, das Renovieren einer Orgel, teilweise aus Spenden finanziert; der Philharmonikerchor, der sich auch aus den besten Sängern der Kirchenchöre rekrutiert, die viel Nachwuchsförderung betreiben; die Notfallseelsorge nach einer Verkehrskatastrophe.

Denn für die subsidiären Strukturen engagiert sich der Bürger gerne — anders als für staatlich geforderte "Freiwilligkeit". Seien wir ehrlich: ein Kirchenaustritt wirkt wie moralisch verwerfliche Steuerhinterziehung — man läßt den anderen die Last und es sich selbst gut gehen. "Steuersparen" darf daher kein Grund sein; eine ehrliche atheistische oder agnostische Einstellung ist zu akzeptieren.

Dann aber sollte man bereit sein, eine (möglicherweise geringere) Steuer anderen wohltätigen Einrichtungen zuzuführen. Unsere werteerhaltenden Einrichtungen benötigen eine stabile Finanzbasis; bricht diese weg, dann wird der Staat ihre Aufgaben übernehmen müssen — kein positiver Ausblick für die, die den Staat eigentlichen aus der Wertevermittlung heraushalten wollen.

Weil einige Leistungen der Glaubensgemeinschaften den Mitgliedern vorbehalten sind, sollte der Ethiksteuersatz für solche Steuerzahler, die nicht einer der staatlich anerkannten Glaubensgemeinschaften angehören, unter dem des Kirchensteuersatzes liegen — vielleicht zwei Drittel.

Hiervon könnten die wichtigen benevolenten Organisationen Deutschlands durch Ankreuzen auf dem Steuerformular profitieren — von der Deutschen Stiftung Denkmalschutz bis zum Roten Kreuz. Diese nachrangige Lösung ist der italienischen Kultursteuer überlegen, da dort beliebig angekreuzt werden kann und kein "gespaltener Steuersatz" existiert, der Gedanke der Nachrangigkeit — mit dem verringerten Steuersatz — also nicht berücksichtigt wird.

Steuer könnte 3,5 Milliarden Euro bringen

Bei einem Kirchensteueraufkommen von langfristig rund acht Mrd. Euro für etwa 54 Mio. Christen läge das Aufkommen einer derartigen Ethiksteuer mit einem Satz von zwei Dritteln der Kirchensteuerabgabe bei rund 3,5 Mrd. Euro. Das müsste zu keiner neuen Belastung der Steuerzahler führen, denn der Staat wäre von Mitteln, die er bisher vielen wohltätigen Organisationen zuwendet, entlastet. Man könnte den berüchtigten Soli problemlos um ein Viertel verringern.

Das System würde aber gerechter, es wäre, finanztechnisch gesehen, eine wichtige Einkommensumverteilung zugunsten der Schwachen. Schlussendlich würde es der Subsidiarität dienen — und aus ökonomischer Sicht mehr Wahlfreiheit eröffnen, weil viele Sozialorganisationen außerhalb der Kirchen auf eine kalkulierbare Finanzbasis gestellt würden.

(RPO)
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