Spitzengespräch im Gesundheitsministerium Wie Lauterbach Engpässe bei Kindermedikamenten verhindern will
Berlin · Die Versorgungslage bei Kinderarzneimitteln ist besser als im Vorjahr, Engpässe aber nicht auszuschließen: Gesundheitsminister Lauterbach appelliert daher an Eltern, von Hamsterkäufen abzusehen – und möchte nun Verantwortung in die Hände von Apothekern legen.
Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach sieht eine stabilere Versorgung mit Kinderarzneimitteln in diesem Herbst und Winter. Dank Produktionssteigerungen der Hersteller sei man nun deutlich besser aufgestellt als im Vorjahr, sagte der SPD-Politiker nach einem Gespräch mit Vertretern von Apotheken, Ärzten und Pharmabranche. Wenn die kommende Infektwelle nicht viel stärker als üblich sei, werde man aus seiner Sicht dem Problem Herr werden können, so Lauterbach, der gleichzeitig aber vor Hamsterkäufen warnte.
Wie ist die Situation?
Im vergangenen Winter war es zu Engpässen bei der Versorgung mit Kindermedikamenten wie Fieber- und Hustensäften gekommen. Probleme gab es zuletzt auch bei Krebsmitteln und Antibiotika. Aktuell sehe die Lage deutlich besser aus, betonte Lauterbach. Die Produktionsmengen bei kritischen Kinderarzneimitteln hätten zum Teil verdoppelt werden können. Engpässe in der kommenden Infektwelle seien dennoch nicht komplett auszuschließen.
Bei welchen Arzneien sind die Engpässe besonders groß?
„Von Lieferengpässen sind alle Antibiotika-Gruppen betroffen, Säfte für Kinder und Tabletten für Erwachsene. Es fehlen Penicilline, Amoxicilline, Cephalosporine, Gyrasehemmer und viele weitere Breitspektrumantibiotika“, sagte Thomas Preis, Chef des Apothekerverbands Nordrhein, unserer Redaktion. Das habe auch Auswirkungen auf die Lieferfähigkeit von antibiotischen Augentropfen und Augensalben. „Gerade weil die Hygienemaßnahmen nicht mehr so ernst genommen werden, rechnen wir im Winter mit zahlreichen Infektionen, auch Augeninfektionen“, sagte er. Außerdem kritisierte Preis, dass immer mehr Medikamente hektisch per Sonderzulassung aus dem Ausland importiert und zugelassen“ würden – manchmal ohne Beipackzettel „oder mit Beipackzettel, die lediglich per KI übersetzt wurden“.
Was wurde bislang unternommen?
Um die Versorgung besonders für Kinder generell besser abzusichern, war Ende Juli bereits ein Anti-Engpass-Gesetz in Kraft getreten. Es macht als Sicherheitspuffer Vorräte von mehreren Monatsmengen für vielgenutzte Mittel zur Pflicht. Preisregeln sollen gelockert werden, um Lieferungen nach Deutschland für Hersteller lohnender zu machen. Das Gesetz brauche aber Zeit, um zu wirken, erläuterte Lauterbach. Mit Blick auf die nahende Erkältungssaison hat das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte bereits eine „Dringlichkeitsliste“ mit gut 30 Kinderpräparaten veröffentlicht, die von den Akteuren mit höchster Priorität beschafft werden sollten. Darauf stehen mehrere Antibiotika, Nasentropfen, fiebersenkende und schmerzlindernde Säfte und Zäpfchen.
Wie fordert die Wirtschaft zur Beseitigung der Engpässe?
Der Apothekerverband wünscht sich von der Bundesregierung mehr Einsatz: „Arzneimittel gehören zur Daseinsvorsorge der Menschen. Der Staat muss dafür Sorge tragen, dass genug Medikamente zur Behandlung zur Verfügung stehen. Abnahmegarantien für Hersteller, wie bei Impfstoffen gegen Corona, könnten dafür ein Modell sein", sagte Preis. Der Verband der forschenden Arzneimittel-Hersteller (VFA) forderte derweil, ein Frühwarnsystem zu installieren, um Engpässe früher zu erkennen, und Reserve-Produktionskapazitäten vorzuhalten. „Dies stärkt unsere Unabhängigkeit im Krisenfall“, sagte VFA-Chefvolkswirt Claus Michelsen. „Momentan verstricken wir uns in einer Verwaltung des Mangels.“
Welche neuen Maßnahmen plant nun die Politik?
Lauterbach stellte einen Fünf-Punkte-Plan vor. In diesem wird auch an Eltern appelliert, von Hamsterkäufen abzusehen. Wenn das gelinge, sei die Versorgung mit Kinderarzneimitteln im Herbst und Winter „weitgehend gesichert“. Antibiotika sollen nach Vorstellung von Ärzten sparsam und evidenzbasiert verschrieben werden. Außerdem sollen Apotheker mehr Befugnisse erhalten. Vorgesehen ist demnach, dass sie die Darreichungsform von Medikamenten – etwa von Tropfen zu Tabletten – selbst verändern können. Ein neues Rezept oder Rücksprache mit dem Arzt seien dafür nicht nötig. Außerdem gibt es eine Frühwarngruppe im Ministerium.
Wie reagieren Verbände darauf?
„Als akute Symptombehandlung sind einzelne Schritte hilfreich. Am Grundproblem ändern sie nichts. Wenn die Politik nicht endlich die Strukturen ändert, sitzen wir nächstes Jahr wieder hier und überlegen, wie wir möglichst glimpflich durch den Winter kommen“, sagte Andreas Burkhardt, Vorstandsvorsitzender von Pro Generika. Seine Mitgliedsunternehmen hätten ihre Kapazitäten „bis zum technischen Limit erhöht und produzieren bei Vollauslastung“, betonte er.
Wie bewertet die Opposition Lauterbachs Pläne?
Tino Sorge, gesundheitspolitischer Sprecher der Unionsfraktion, warf Lauterbach vor, auf das Prinzip Hoffnung zu setzen. „Der heutige Tag ist für Minister Lauterbach das Eingeständnis, dass sein Gesetz zur Bekämpfung von Lieferengpässen nicht gereicht hat“, sagte der CDU-Politiker unserer Redaktion. Lauterbach steuere mit einem Schlingerkurs auf einen Herbst zu, der abermals von Lieferproblemen geprägt sein werde, prognostizierte Sorge. Der CDU-Politiker forderte unter anderem mehr Produktionsstätten in der EU und in Deutschland.