Fragen und Antworten zum Ampel-Projekt Aus dem Kindergeld wird ab 2025 die Kindergrundsicherung
Analyse | Berlin · Die geplante Kindergrundsicherung ist eines der größten sozialpolitischen Vorhaben der Ampel-Koalition. Mehrere staatliche Leistungen sollen für alle Kinder in Deutschland gebündelt und einfacher zu erhalten sein. Dazu die wichtigsten Fragen und Antworten.
Bisher gibt es nur ein kurzes „Informationspapier“ von Bundesfamilienministerin Lisa Paus (Grüne) zur Kindergrundsicherung, die ab 2025 die wichtigsten staatlichen Leistungen für Kinder ersetzen soll. Doch obwohl das Konzept noch längst keine Gesetzesreife hat — oder möglicherweise auch gerade deshalb — erhitzt es die Gemüter in der Ampel-Koalition wie kaum ein anderes Thema. Die Grünen melden einen jährlichen Mehrbedarf von zwölf Milliarden Euro für die Kindergrundsicherung an. Doch Bundesfinanzminister Christian Lindner will nur zwei bis drei Milliarden Euro vor allem für die technische Umsetzung einplanen. „Immer höhere Sozialtransfers helfen Familien nicht weiter“, sagt der FDP-Chef. Stattdessen will er bei den Eltern ansetzen und Spracherwerb und Bildung fördern, um deren Chancen auf dem Arbeitsmarkt zu steigern.
Was genau ist geplant?
Die Kindergrundsicherung soll ab 2025 die zentrale Leistung für alle Kinder in Deutschland sein. Vier bestehende Einzelleistungen – das Kindergeld, der Kinderzuschlag, die soziale Grundsicherung für Kinder (bisher Hartz IV) und ein Betrag von 15 Euro monatlich aus dem bisherigen Bildungs- und Teilhabepaket für ärmere Familien für Musikschule oder Sportverein – sollen gebündelt und zu einer Einheit zusammengeführt werden.
Wie sollen Familien künftig an das Geld kommen?
Oft wüssten Familien nicht, welche Leistungen sie beantragen könnten, sagt Familienministerin Paus. Zudem seien die bürokratischen Hürden zu hoch. Um das zu beheben, sei ein einfach zu bedienendes „Kindergrundsicherungsportal“ im Internet geplant. Über einen „Kindergrundsicherungs-Check“ sollen Familien auch aktiv von den Behörden auf der Grundlage ihrer Steuerdaten darauf hingewiesen werden, dass sie möglicherweise Ansprüche auf Zahlungen haben. Aus der bisherigen Holschuld der Bürger solle eine Bringschuld des Staates werden, so die Familienministerin.
Wie sollen ärmere Familien stärker gefördert werden?
Ein sogenannter Garantiebetrag soll künftig Kern der Kindergrundsicherung sein und dem heutigen Kindergeld von 250 Euro pro Kind entsprechen. Damit Kinder aus ärmeren Familien darüber hinaus besonders unterstützt werden, soll gestaffelt nach finanzieller Lage ein Zusatzbetrag obendrauf kommen. Sobald die Kinder volljährig sind und nicht mehr bei ihrer Familie wohnen, soll das Geld direkt an sie gehen, um Ausbildung oder Studium zu bezahlen.
Was kostet den Staat die Kindergrundsicherung?
Die Ampel hatte im Koalitionsvertrag vereinbart, mit der Kindergrundsicherung mehr Kinder aus der Armut zu holen. „Diese Leistung soll ohne bürokratische Hürden direkt bei den Kindern ankommen und ihr neu zu definierendes soziokulturelles Existenzminimum sichern“, heißt es im Vertrag. Die Auslegung dieser Formulierung bietet Spielraum: Die Grünen und Familienministerin Paus wollen die individuellen Leistungen für ärmere Kinder erhöhen. SPD-Chefin Saskia Esken fordert ebenfalls zwölf Milliarden Euro.
Finanzminister Lindner steht hier jedoch auf der Bremse. „Statt über wirksame Mittel gegen die Gründe von Kinderarmut zu diskutieren, wird nur über weitere Milliardentransfers gesprochen. Soziale Politik aber bemisst sich nicht am Umfang der Etats, sondern an nachhaltig sozialen Ergebnissen im Alltagsleben“, sagt er. Die Leistungen für Kinder sollen — wie im Koalitionsvertrag vereinbart — neu geordnet und der Zugang erleichtert werden. Denn Kinderarmut sei oft in Bildungs- oder Erwerbsarmut der Eltern begründet. „Gerade für Familien, in denen bisher kein eigenes Einkommen erzielt wird, gibt es bessere Hilfen als immer höhere Zahlungen. Insbesondere sollten wir Spracherwerb und Bildung bei den Eltern fördern, damit sie auf dem Arbeitsmarkt ein eigenes Einkommen erzielen können“, so Lindner.
Wie sollen die Pläne finanziert werden?
Die Ministerin hat eine Absenkung des steuerlichen Kinderfreibetrags vorgeschlagen, um mit den dadurch entstehenden Steuermehreinnahmen einen Teil der Kindergrundsicherung zu finanzieren. Die Freibeträge erhalten Eltern, wenn diese günstiger als das Kindergeld sind. Eine Alternative, die sich vor allem für Spitzenverdiener lohnt: Bei der Steuerberechnung werden die Kinderfreibeträge nämlich vom Einkommen abgezogen, so dass sich die Steuerlast verringert. Dabei ist die Steuerersparnis größer als die Summe des ausgezahlten Kindergeldes. „Es ist absurd, dass wohlhabende Familien über die Kinderfreibeträge deutlich stärker entlastet werden als ärmere Familien, die nur das Kindergeld erhalten“, sagt Paus. Der Ministerin zufolge wäre es ein Durchbruch, diese Ungerechtigkeit im System zu beseitigen. Lindner lehnt die Abschaffung des Kinderfreibetrags jedoch ab.
Wie sieht der Zeitplan aus?
Seit Frühjahr 2022 arbeitet eine interministerielle Arbeitsgruppe mit Vertretern aus sieben Ressorts an dem Konzept. Die Gruppe sollte eigentlich bereits im Februar Eckpunkte vorlegen, was bisher nicht geschehen ist. Einen Gesetzentwurf plant Ministerin Paus in diesem Herbst, die Verabschiedung in der ersten Jahreshälfte 2024. Zum 1. Januar 2025 soll die Kindergrundsicherung eingeführt werden.
Was sagt die SPD?
SPD-Parlamentsgeschäftsführerin Katja Mast bekräftigt, dass es ihrer Partei nicht nur um Geld für arme Familien geht. „Mit der höchsten Kindergelderhöhung zu Beginn des Jahres sind wir bereits einen wichtigen, ersten Schritt gegangen. Mir ist wichtig, dass es bei der Kindergrundsicherung nicht nur ums Geld geht“, sagt Mast. „Auch nicht-monetäre Leistungen, wie ein ganztägiger Betreuungsanspruch, sind wichtige Bausteine im Kampf gegen Kinderarmut“, so Mast.
Was sagen die Bürger?
Eine Mehrheit der Bevölkerung von 60 Prozent befürwortet die Einführung der Kindergrundsicherung. Bei Eltern mit minderjährigen Kindern ist die Zustimmung noch größer (75 Prozent), wie aus einer repräsentativen Umfrage des Instituts für Demoskopie Allensbach hervorgeht.