Streit um Kindergrundsicherung Familienministerin Paus erwartet zügigen Ampel-Kompromiss

Berlin · Trotz des Streits um die Kindergrundsicherung glaubt Familienministerin Paus weiter an die Umsetzung des Projekts. Noch vor der Sommerpause solle es eine Einigung in der Koalition geben — wie die aber aussehen kann, lässt die Grüne weiter offen.

Für Bundesfamilienministerin Lisa Paus (Grüne) ist die Kindergrundsicherung das zentrale politische Projekt.

Für Bundesfamilienministerin Lisa Paus (Grüne) ist die Kindergrundsicherung das zentrale politische Projekt.

Foto: dpa/Bernd von Jutrczenka

Kinder aus ärmeren Familien spürbar besser stellen, ohne allen anderen Familien etwas wegzunehmen — Bundesfamilienministerin Lisa Paus (Grüne) ist zuversichtlich, dieses Ziel trotz knapper Haushaltslage in dieser Legislaturperiode noch zu erreichen. Das Ampel-Projekt der Kindergrundsicherung „wird auf jeden Fall was“, versicherte Paus am Dienstag nach einem Austausch mit Wissenschaftlern zu der geplanten Reform. SPD, Grüne und FDP dürften sich noch vor der Sommerpause auf zentrale Eckpunkte der Reform einigen. Danach werde sie einen Gesetzentwurf vorlegen. Die Kindergrundsicherung solle wie bisher geplant Anfang 2025 eingeführt werden.

Bislang sind sich die Koalitionsparteien über zentrale Details des neben dem Bürgergeld wichtigsten sozialpolitischen Reformprojekts der Ampel jedoch nicht einig. Bundesfinanzminister Christian Lindner (FDP) vermisst nach eigenen Angaben weiterhin ein konkretes, diskussionsfähiges Konzept aus dem Hause von Paus. Uneins sind Grüne und FDP vor allem, wenn es um die Bezahlbarkeit des Projekts geht. Während FDP-Chef Lindner jährlich nur etwa zwei bis drei Milliarden Euro zur Verfügung stellen will, pocht Paus auf zwölf Milliarden Euro oder mehr pro Jahr für die neue Leistung. Sie will bisherige staatliche Leistungen für Kinder nicht nur bündeln und leichter zugänglich machen, sondern für bedürftige Familien auch deutlich aufstocken. Lindner und die FDP lehnen das mit Verweis auf die gerade erfolgte starke Erhöhung des Kindergeldes auf 250 Euro pro Monat und Kind ab. Zumindest SPD-Chefin Saskia Esken hatte sich auf die Seite der Grünen geschlagen.

Nach den Plänen von Paus sollen das Kindergeld, der Regelsatz für Kinder im Bürgergeld, der Kinderzuschlag für einkommensschwache Familien und Leistungen aus dem sogenannten Bildungs- und Teilhabepaket für bedürftige Kinder zusammengeführt werden. Für jedes Kind soll es einen so genannten Garantiebetrag geben, der dem bisherigen Kindergeld entspricht. Hinzu kommt ein einkommensabhängiger Zusatzbetrag nur für einkommensschwächere Familien. Der Staat soll künftig in einer „Bringschuld“ sein, was bedeutet, dass die Leistungen nicht mehr einzeln beantragt werden müssen, sondern automatisch ausgezahlt werden auf der Grundlage der individuellen Steuerdaten der Eltern. Zentrale Stelle für die Auszahlungen soll die bei der Bundesagentur für Arbeit angesiedelte Familienkasse sein. Paus möchte nicht nur erreichen, dass möglichst alle anspruchsberechtigten Familien die bestehenden Leistungen erhalten, sondern die Zusatzbeträge durch eine neue Definition des „kindgerechten Existenzminimums“ auch deutlich erhöhen. Dies ist der Haupt-Streitpunkt mit Lindner, der im Bundesetat keinen Spielraum sieht.

„Ich möchte tatsächlich mit der Kindergrundsicherung Kinderarmut reduzieren“, betonte Paus. „Ich halte es nicht aus, dass durch diese Art von Ausgrenzung Perspektiven zerstört werden, dass auch Bildungschancen dadurch reduziert werden, dass von vornherein klar ist, dass die Gesundheitsrisiken deutlich erhöht sind (...) und deswegen kämpfe ich für die Kindergrundsicherung.“

Unterstützung holte sie sich von ihr wohlgesonnenen Wissenschaftlern. Marcel Fratzscher, Präsident des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW), verwies auf die Effekte der hohen Inflation. Davon seien einkommensschwache Familien doppelt bis dreifach härter getroffen als andere, weil sie einen einen höheren Anteil ihres Einkommens für Lebensmittel und Energie ausgeben müssten. Die Kindergrundsicherung sei eine wirtschaftlich sinnvolle Investition in die Zukunft, da Kinder, die aus der Armut heraus fänden, langfristig gesehen die Belastungen für das Sozialsystem verringern würden. Mögliche negative Erwerbsanreize für die Eltern müssten durch die bessere Koordinierung mit anderen Leistungen wie dem Wohngeld oder Mini-Jobs vermieden werden, sagte Fratzscher, ohne hier konkreter zu werden.

Die Größenordnung von zwölf Milliarden Euro zusätzlich für die Kindergrundsicherung hielt der DIW-Chef für eine „realistische Summe“. Allerdings konnte oder wollte Ministerin Paus nicht darstellen, wie genau sie auf diese Summe gekommen ist. „Ich finde, die zwölf Milliarden sind gut begründet. Man kann sich aber auch über höhere Zahlen auseinandersetzen“, sagte Paus lediglich.

In Deutschland gebe es 2,8 Millionen Kinder, die in Armut leben, sagte Bettina Kohlrausch vom Wirtschafts- und Sozialwissenschaftlichen Institut (WSI) in Berlin. Das bisherige System sei aus zwei Gründen ungerecht: Zum einen werde das Kindergeld auf andere Sozialleistungen angerechnet, etwa auf das Bürgergeld, während alle anderen Familien das volle Kindergeld erhielten. Zum anderen könnten besser verdienende Eltern mit dem steuerlichen Kinderfreibetrag eine im Vergleich zum Kindergeld etwas höhere Unterstützung erhalten.

Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort