NRW-Heimatministerin auf Tour Kaviar zum Frühstück

Essen · NRW-Heimatministerin Scharrenbach tourt durchs Land auf der Suche nach Heimat – und den Menschen, die sie prägen.

Honig frisch aus der Wabe: Ina Scharrenbach (M.), mit Essens Oberbürgermeister Thomas Kufen (r.), und Renate Beck. 

Honig frisch aus der Wabe: Ina Scharrenbach (M.), mit Essens Oberbürgermeister Thomas Kufen (r.), und Renate Beck. 

Foto: picture alliance/dpa/Roland Weihrauch

Der Ort, an dem NRW-Heimatministerin Ina Scharrenbach die zweite Etappe ihrer „Heimat-Tour“ startet, ist gewissermaßen auch ihre Heimat. Es ist die Firmenzentrale der RAG, ehemals Ruhrkohle AG, auf dem Gelände von Zollverein, ehemaliges Steinkohlebergwerk, in Essen-Stoppenberg, ehemaliges Zechenviertel. „Hier wurde früher hart gearbeitet“, sagt Oberbürgermeister Thomas Kufen (CDU) seiner Parteifreundin zur Begrüßung, hier im Ruhrgebiet habe man ein besonderes Verständnis von Schönheit. Die Ministerin, in Kamen bei Dortmund aufgewachsen, entgegnet mit dem Frank-Goosen-Zitat: „Schön is dat nich, aber meins“, und lässt sich einen Spruch zu den bereitgestellten Lachsbrötchen mit Kaviar nicht nehmen: „Die sind hoffentlich aus der Ruhr“, sagt sie. „Die sind von gestern“, ruft einer und lacht.

Zwei Dutzend Ehrenamtler, Naturschützer und Funktionsträger hat die Ministerin zum Wandern eingeladen, von Essen nach Gelsenkirchen, von der Zeche bis zur Emscher, zehn Kilometer bei 30 Grad. „Zu Fuß lernt man Heimat besser kennen“, dachte die Ministerin nach der „Heimat-Tour“ 2017, nach zig Ortsterminen und Autofahrten quer durch NRW. Im nächsten Jahr will sie aufs Rad umsteigen, 2020 auf Wasserwege. „Einmal rausgehen ist besser als zehn Bücher lesen“, meint auch RAG-Geschäftsführer Hans-Peter Noll, der die Gruppe übers Zollverein-Areal führt und als einziger Anzug trägt. Der Rest der Truppe: beige Funktionshosen, bunte Sommerhemden, festes Schuhwerk. Am Waldstück des Geländes ertönt „Ode an die Freude“ auf einem Horn, das ein Imker bläst, der gleichzeitig Musiker zu sein scheint und der der Gruppe das Bienenvolk Zollvereins präsentiert. Es gibt Honig frisch aus der Wabe. Ein Stück weiter fängt Josef Tumbrinck, Landeschef des Nabu, der über Heuschrecken promoviert hat, eine Heuschrecke, hält sie hoch und erklärt, wo und wie sie nistet.

Umwelt ist naturgemäß ein Teil von Heimat, aber Ina Scharrenbach ist keine Umweltministerin. Die 41-jährige gelernte Bankkauffrau und Betriebswirtin ist seit 1996 CDU-Mitglied, seit 1999 Mitglied des Kamener Stadtrats. Und sie ist Nordrhein-Westfalens erste Heimatministerin. Auf die Frage, was Heimat für sie bedeutet, hat Scharrenbach mal gesagt: „Die Vorstellung von Heimat muss von unten wachsen.“ Wie sich der Begriff einem Jahr nach Amtsantritt für sie verändert hat? „Gar nicht“, sagt Scharrenbach. Er habe sich eben mit Leben gefüllt. Sie habe viele Menschen getroffen, die stolz seien auf ihre Heimat, auf regionale Traditionen und darauf, ihren Beitrag dazu zu leisten. Mit einem „Heimatförderprogramm“ will Scharrenbach Ehrenamtler hierzulande unterstützen, 115 Millionen Euro stünden dafür insgesamt bis zum Ende dieser Legislaturperiode bereit.

Die erste Etappe ihrer Tour 2018 war der Weg des Westfälischen Friedens im Münsterland, die zweite führt nun durchs Ruhrgebiet, es folgen vier durch die übrigen Regierungsbezirke. Auf Bildern der ersten Tour sind überwiegend Ältere zu sehen, auch heute ist der Altersschnitt hoch. Elf Senioren vom Sauerländischen Gebirgsverein (SGV), dem größten Wanderclub in NRW, sind gekommen, fast alle über 80 Jahre. Drei junge Mitarbeiter vom Nabu sind dabei sowie eine junge Kollegin der Zollverein-Stiftung.

Warum man die Touren nicht öffnet für alle? „Dann würden wir überrannt“, heißt es vom Ministerium. Und was ist mit denen, für die NRW noch Heimat werden soll? Den Zuwanderern, den Flüchtlingen? Wäre das Ruhrgebiet für dieses Thema nicht geradezu prädestiniert? „Dazu sind wir mit dem Integrationsministerium im Gespräch“, heißt es von Scharrenbach. Stationen auf der Tour sind dazu keine geplant.

Ina Scharrenbach begegnet kritischen Fragen lieber kurz und knapp, lieber allgemein als konkret. Sie gilt als fleißig, akribisch und stets gut vorbereitet. So hat sie sich auch das Ministeramt verdient, als Vorsitzende des Untersuchungsausschusses der Silvesternacht in Köln. Der damalige NRW-Innenminister Ralf Jäger (SPD) habe Schweißausbrüche bekommen, wenn er nur ihren Namen gehört habe, scherzte Armin Laschet mal.

Ins Schwitzen kommt an diesem Mittag vor allem die Ministerin selbst. Für die Wandersenioren ist die Strecke keine Herausforderung, „alles unter 15 Kilometer ist ein Spaziergang“, sagt Renate Beck (84). Heinrich Meyer, ebenfalls 84, übernimmt kurzerhand die Führung. Er ist hier groß geworden, kennt jeden Baum des Waldes hinter der Zeche, der erst auf Anweisung der Landesregierung in den 60ern entstanden ist – mit Inbetriebnahme der Kokerei. Er kennt jeden Weg und jedes Haus, bleibt in der Zechensiedlung stehen und fragt: „Wisst ihr, wer hier gewohnt hat? Das Wunder von Bern 1954! Helmut Rahn, mit dem hab’ ich noch in der A-Jugend gespielt.“

Heinrich Meyer und Renate Beck sind Wanderführer, seit vielen Jahren und – so ist ihr Plan – noch viele weitere Jahre. Sie wandern nicht nur beliebte Strecken, sondern vor allem die weniger beliebten und bekannten, und sie gehen buchstäblich neue Wege, bauen Markierungen aus. Auch das ist Heimatförderung.

Kurz vor Ende der Tour, an der Schurenbachhalde, zu der 400 Stufen hochführen, scherzen die beiden 84-Jährigen mit Blick auf Scharrenbach am Ende der Gruppe: „Wollen wir eine Rolltreppe beantragen? Die Bauministerin ist ja gerade hier.“ Die aber hat ein ganz anderes Ziel. Als die Experten am Schluss den Projektstand der Renaturierung der Emscher vorstellen, sagt die Ministerin: „Dann wollen wir mal hoffen, dass der Kaviar in zehn Jahren aus der Emscher kommt.“

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