Nach schwarz-gelber Einigung Kaum Chance auf Steuersenkung
Berlin (RP). Durcheinander in der Koalition: Die schwarz-gelbe Bundesregierung kündigt an, die Steuerzahler ab 2013 um sechs bis sieben Milliarden Euro pro Jahr zu entlasten. Doch CSU-Chef Horst Seehofer dementiert nur Minuten später die Einigung. Die SPD-Länder drohen mit einem Veto im Bundesrat.

Steuersenkungspläne ab 2013 - darauf dürfen Sie hoffen
Die Bundesregierung will die Steuerzahler ab 2013 um sechs bis sieben Milliarden Euro jährlich entlasten. Dafür soll die sogenannte kalte Progression im Einkommensteuerrecht verringert werden. Damit ist eine Steuermehrbelastung gemeint, die entsteht, wenn Lohnerhöhungen lediglich die Inflation ausgleichen, die Steuerlast aber steigt, weil der Beschäftigte in einen höheren Einkommensteuersatz rutscht. In diesem Fall sinkt trotz Lohnerhöhung das Realeinkommen. Die geplante Reform werde einen Durchschnittsverdiener mit einem Monatsbruttoverdienst von 2500 Euro um etwa 200 Euro jährlich entlasten, erfuhr unsere Zeitung im Bundesfinanzministerium.
Finanzminister Wolfgang Schäuble (CDU) und Wirtschaftsminister Philipp Rösler (FDP) kündigten gemeinsam an, den Grundfreibetrag bei der Einkommensteuer von aktuell 8004 Euro anzuheben. Ausgehend davon sollen in den Tariftabellen auch die zu versteuernden Einkommen, ab denen ein bestimmter Steuersatz zu zahlen ist, angehoben werden — und zwar entsprechend dem Anstieg der Verbraucherpreise zwischen 2010 und 2012. Dadurch wird jeder Steuerzahler ab 2013 um den Betrag entlastet, der ihm durch die inflationsbedingte kalte Steuerprogression entgangen ist. Die Koalition verzichte damit auf Steuermehreinnahmen, die vom Gesetzgeber so nicht gewollt gewesen seien, sagte Schäuble.
SPD: Nicht Handlanger der Chaos-Koalition
Doch noch während die Minister ihr Konzept vorstellten, erklärte CSU-Chef Horst Seehofer in München, eine Einigung unter den Koalitionspartnern gebe es nicht. "So geht es nicht, dass man Fakten in der Öffentlichkeit schafft, die wir dann abnicken sollen. Punkt", sagte Seehofer. Erst bei dem Spitzentreffen der Koalition am Freitagabend werde man über das gesamte Finanztableau sprechen, teilte Seehofer mit. Die CSU pocht auf Mehrausgaben für die Infrastruktur und will daher ein Gesamtpaket schnüren.
Vor allem die FDP hatte im Vorfeld für Steuersenkungen plädiert und Kanzlerin Angela Merkel (CDU) vor der Sommerpause eine Festlegung abgerungen. Änderungen beim Einkommensteuertarif müssen jedoch vom Bundesrat gebilligt werden. Dort hat Rot-Grün eine Blockademehrheit.
Die SPD-Finanzminister von Baden-Württemberg und Nordrhein-Westfalen haben ein Veto ihrer Länder gegen die von der schwarz-gelben Koalition geplanten Steuersenkungen angekündigt. "Eine Steuersenkung wäre unverantwortlich und fahrlässig", sagte NRW-Ressortchef Norbert Walter-Borjans unserer Redaktion. "Steuersenkung macht nur Sinn, wenn es entweder Überschüsse oder ein Steuersystem gibt, das im europäischen Wettbewerb nicht bestehen kann. Beides trifft nicht zu. Deshalb kann sich niemand Steuersenkungen leisten: weder der Bund noch die Länder, deren Ausgaben zum größten Teil festgelegt sind."
Der Finanzminister und stellvertretende Ministerpräsident von Baden-Württemberg, Nils Schmid (SPD), erklärte gegenüber unserer Redaktion: "Wir machen uns nicht zum Handlanger dieser Chaos-Koalition." Steuersenkungen auf Pump "machen wir nicht mit", sagte Schmid, der auch Vorsitzender der Südwest-SPD ist. Die Bundesregierung könne sich ja nicht einmal auf ein gemeinsames Vorgehen beim Steuerkonzept einigen, kritisierte der baden-württembergische Wirtschafts- und Finanzminister.
Geteiltes Echo bei Ökonomen
In der FDP gibt es Unmut. Rösler habe sich im Alleingang auf Korrekturen der Einkommensteuer konzentriert. "Am Ende stehen wir mit leeren Händen da", befürchtet ein ranghohes Fraktionsmitglied. Fraktionschef Rainer Brüderle und FDP-Vize Holger Zastrow hatten den Abbau des Solidaritätszuschlags gefordert — das ist der einheitsbedingte Zuschlag von 5,5 Prozent auf die Einkommensteuer, der nur dem Bund zufließt und dessen Abbau der Bundesrat nicht zustimmen muss.
Nun bestehe die Gefahr, dass bei dem Koalitionstreffen Mehrausgaben für die Infrastruktur und für das Betreuungsgeld beschlossen werden, die FDP aber ihren Wählern nur eine Steuersenkung bieten könne, die im Bundesrat zu scheitern droht. Bei Ökonomen stießen die Pläne auf ein geteiltes Echo. Das gewerkschaftsnahe Institut IMK erklärte, kurz vor einem Abschwung müsse man die Staatsfinanzen zusammenhalten. Das Essener RWI-Institut erklärte dagegen, der Schritt sei richtig und könne der Konjunktur einen kleinen positiven Impuls geben.
Am Freitagabend wollen die Partei- und Fraktionschefs der Koalition über weitere Streitfragen beraten. Auch bei der Pflegereform stehen sich FDP und CSU unversöhnlich gegenüber. Die FDP besteht auf Einführung einer individuellen, kapitalgedeckten Säule als Vorsorge für die wachsende Zahl Pflegebedürftiger. Die CSU lehnt dies strikt ab und will Leistungen aus der Pflegeversicherung ausgliedern und über Steuern finanzieren.
Streit um Betreuungsgeld
Beim Betreuungsgeld hakt es ebenfalls. Die FDP lehnt die Sonderzahlung für Mütter mit kleinen Kindern ab, die ihre Kinder ausschließlich zu Hause betreuen. "Fakt ist: CDU/CSU und FDP haben das Betreuungsgeld im Koalitionsvertrag verabredet. Unser Ziel ist und bleibt, es auch einzuführen", sagt dagegen CSU-Fraktionsgeschäftsführer Stefan Müller unserer Redaktion. "Wer für das Betreuungsgeld keinen finanziellen Spielraum sieht, muss konsequenterweise auch andere familienpolitische Leistungen infrage stellen."
Zugleich lehnte er eine Anhebung des Pflegeversicherungsbeitrags strikt ab. "Wir wollen die Leistungen in der Pflege verbessern. Es braucht aber auch Zukunftsvorsorge durch eine individuelle Rücklage in der Pflegeversicherung, um die Lasten der zunehmenden Alterung der Gesellschaft abzufedern", so Müller. "Das eine geht nicht ohne das andere. Unser Ziel ist es, die Sozialversicherungsbeiträge insgesamt durch diese Maßnahmen nicht zu erhöhen."