Katrin Göring-Eckardt "Macht Euch doch mal locker!"

Düsseldorf · Die Grünen-Fraktionsvorsitzende spricht im Interview mit unserer Redaktion über Kompromisslinien bei den Jamaika-Verhandlungen. Bei den heiklen Themen Kohleausstieg und Familiennachzug sieht die mögliche neue Ministerin den geringsten Spielraum.

 "Meine Idee ist, aus diesem Unterschiedlichen etwas zu machen": Katrin Göring-Eckardt.

"Meine Idee ist, aus diesem Unterschiedlichen etwas zu machen": Katrin Göring-Eckardt.

Foto: dpa, kes kno

Jamaika hat viele Papiere produziert, aber fast alles, was die Grünen wollen, findet sich nur in eckigen Klammern, steht also unter Vorbehalt. Bekommen Sie am Ende zu wenig?

Göring-Eckardt Wir haben ja auch viel vor, Stillstand gab es jetzt lange genug. Den Liberalen geht es in erster Linie um die Abschaffung des Soli. Und bei der Union habe ich das Gefühl, sie will hauptsächlich die Dinge so lassen wie es ist. Trotzdem ist jetzt die Zeit für alle, Kompromisse zu machen.

Birgt das die Gefahr, dass Sie die meisten Kompromisse machen?

Göring-Eckardt Nein. Wenn wir nur Anliegen verdealen wollten, bräuchten wir nicht so lange viele Wochen für die Sondierungen. Es geht schon auch darum, gemeinsam die Lage zu analysieren und Lösungen für Probleme zu finden, auch über Parteiprogramme hinaus. Alle spüren, dass es nun an der Zeit ist, aufeinander zuzugehen. Nehmen wir das Klima-Thema: Allen ist inzwischen klar, dass sich wirklich was verändern muss. Auch Herr Lindner und Herr Kubicki von der FDP sagen, dass wir den Kohleausstieg wirklich anpacken müssen, wenn Deutschland Teil der Lösung beim Klimaschutz sein will — wie und wie viel ist strittig.

Dennoch sind Sie beim Klimaschutz noch meilenweit auseinander.

Göring-Eckardt Ja. Stand Dienstag 16 Uhr. Ich werde nicht müde FDP und Union zu sagen: Klimaschutz und technologischer Fortschritt first und Bedenken second. Es gibt kein Problem mit der Versorgungssicherheit in Deutschland, auch ohne Atom- und Kohlestrom aus dem Ausland. Um das Klimaziel 2020 noch einhalten zu können, müssen wir Braunkohlekraftwerke mit einer Leistung von mindestens acht Gigawatt abschalten. Es geht um nicht weniger als die Zukunft unserer Kinder auf diesem Planeten. Die alten Bundesregierungen aus Union, SPD und FDP haben es bisher einfach versäumt, rechtzeitig die nötigen Weichen dafür zu stellen. Nun geht es darum, das endlich anzupacken, die Zeit läuft wirklich davon.

Wo könnten denn Kompromisslinien liegen beim Klimaschutz?

Göring-Eckardt Wir müssen uns jetzt einig darüber werden, wie groß die Einsparsumme an Millionen Tonnen Treibhausgas bis 2020 wirklich sein muss. Eines ist klar: Mit nur 66 Millionen Tonnen weniger CO2, wie es die anderen vorschlagen, werden wir das Klimaziel 2020 sehr deutlich verfehlen. Es müssen mindestens 90 Millionen Tonnen sein. Und wir werden beim Kohleausstieg darauf achten müssen, was er für die Kohleregionen etwa im Ruhrgebiet und in der Lausitz bedeutet. Das bleibt ein schwieriger Transformationsprozess, der ja auch schon lange Zeit währt. Es braucht wir einen Strukturfonds und echte Unterstützung für Kohleregionen von der Lausitz bis zum Ruhrgebiet.

Die Union hat vorgeschlagen, den Kohleausstieg wie den Atomausstieg zu organisieren: Die Konzerne sollen entscheiden, welche Kraftwerke abgeschaltet werden. Ist das gangbar?

Göring-Eckardt Dieser Vorschlag hat den Nachteil, dass er nicht sagt, womit die Konzerne dazu gebracht werden sollen, die Kraftwerke entsprechend der Klimaschutzziele abzuschalten. Hier gibt es verschiedene Möglichkeiten. Entweder man schaltet einfach nach Erreichen eines bestimmten Alters ab oder aber man legt an den Klimazielen ausgerichtete Budgets für die jährlichen CO2-Emission fest. Darüber kann man reden. Klar ist aber, dass der Kohleausstieg nicht als eine Art Selbstverpflichtung der Kraftwerksbetreiber organisiert werden kann. Die Politik muss den Rahmen verbindlich schaffen. Und da hilft der Unionsvorschlag leider so nicht weiter. Wir haben für unsere Klimapolitik im Übrigen die Mehrheit der Bevölkerung hinter uns, das zeigen aktuelle Umfragen, sogar die Menschen in den Bundesländern mit Kohleabbau sind mehrheitlich für den Kohleausstieg

Aber beim Familiennachzug für Flüchtlinge haben Sie nicht die Mehrheit hinter sich.

Göring-Eckardt Das stimmt nicht. Auch da sagen Zweidrittel der Bürger: Natürlich ist es für die Integration der meistens männlichen Flüchtlinge wichtig, dass Frauen und Kinder nachkommen können. Jens Spahn von der Union denkt an die richtige Gruppe, wenn er sagt, diejenigen sollen ihre Familien nachholen können, wenn sie sich gut integriert haben. Es gilt aber vor allem anders herum: damit sich die Menschen gut integrieren können, ist es entscheidend, dass sie die Perspektive haben, ihre Familie nachholen zu können und nicht ständig in Sorge um sie zu sein. Ich sage vor allem der CSU: Jetzt macht euch doch mal locker. Schließlich ist doch gerade für die Union die Familie ein Wert an sich.

Aber die will die Union doch wieder zurückschicken, wenn in ihrer Heimat wieder Frieden ist.

Göring-Eckardt Ja, es werden wahrscheinlich einige hier bleiben, von denen wir später sagen werden: Das sind tolle Fachkräfte. Aber unsere Erfahrung mit den Menschen, die vor den Balkankriegen geflohen sind, war doch: Über 90 Prozent sind wieder in die Heimat zurückgekehrt. Der Union geht es um Steuern und Begrenzen der Migration. Beim Steuern bin ich dabei, ich bin auch bei der Ordnung dabei. Wir müssen wissen, wer in Europa und in Deutschland ist. Es kann nicht sein, dass wir illegale Migration haben. Man kann auch niemanden integrieren, von dem man gar nicht weiß, dass er da ist. Wir müssen da sehr viel mehr Anstrengungen aufbringen, weil Humanität und Ordnung zusammengehören.

Wie bekommen Sie das hin?

Göring-Eckardt Beim Thema Migration ist für uns der Familiennachzug elementar. Man kann sich nicht abschotten in einer Welt mit 65 Millionen Flüchtlingen, darunter ein Drittel Klimaflüchtlinge. Mit Zahlen als eine Art Richtgröße mag man vielleicht zurecht kommen bis zu dem Moment, bis wir uns fragen, was müssen wir tun, wenn es mehr werden. Asylrecht ist eben nicht zu begrenzen. Wir unterstützen Ankunftszentren für Asylbewerber wie in Heidelberg. Die Flüchtlinge müssen sehr schnell wissen, wohin die Reise geht: Zurück in ihr Herkunftsland, hierher mit Asylanspruch, oder nur vorübergehend. Wir alle wissen, dass freiwillige Rückkehr viel besser ist als Abschiebung, übrigens auch viel billiger. Auch scheint es ja so zu sein, dass alle Partner ein Einwanderungsgesetz wollen. Über das Einwanderungsgesetz kann kommen, wen die Wirtschaft braucht und das ist der Höhe nach natürlich begrenzt. Beim Thema Einwanderungsgesetz werden wir nur Grundlagen festlegen. Um die Instrumente geht es erst später.

Unterstützen Sie auch die Forderung der Union, das Kindergeld sofort um 25 Euro zu erhöhen?

Göring-Eckardt In erster Linie geht es uns darum, die Situation von Kindern, die in Armut leben zu verbessern. Da hilft das Kindergeld ja bekanntlich nicht. Deswegen geht es um den Kinderregelsatz und den Kinderbonus.

Werden die vier Parteien bis Freitagfrüh zusammenkommen?

Göring-Eckardt Ich sehe den Willen bei den allermeisten, jetzt zusammenzukommen. Aber ich sehe auch große Felder, wo es noch keine Kompromisslinien gibt. Eigentlich passen diese vier Parteien ja erst einmal nicht zusammen, aber es gibt einen Auftrag der Wähler und eine Verantwortung fürs Land. Das muss man jetzt versuchen, passend zu machen wenn möglich und gleichzeitig sagen: Was ist die Idee des Ganzen?

Und was ist Ihre Idee?

Göring-Eckardt Meine Idee ist, aus diesem Unterschiedlichen etwas zu machen. Alle reden in der Wirtschaft von Diversität. Wie man eine Gesellschaft zusammenhalten soll, die auseinander driftet, das ist das große Zauberwort. Eine Regierung, die das vorlebt, dass aus Reibung nicht nur Spannung entsteht, sondern auch positive Energie, das könnte sehr interessant sein. Eine Regierung, die so unterschiedlich ist, die dafür sorgt, dass die gesellschaftliche Spaltung überwunden werden kann: das schwebt mir vor.

Kommt es auf die Kunst der Kanzlerin an, zu moderieren?

Göring-Eckardt Auch, aber es geht nur, wenn wir das alle auf Augenhöhe und in gemeinsamer Verantwortung tun.

Das Gespräch führten Kristina Dunz und Birgit Marschall.

(kd/mar)
Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort