Interview mit Katja Kipping Linke-Chefin wirbt für Rot-Rot-Grün
Berlin · Kurz vor dem Linke-Parteitag am Freitag unterstreicht die Vorsitzende Katja Kipping im Interview mit unserer Redaktion eine klare rot-rot-grüne Perspektive. Sie spricht außerdem über neue Bedürfnisse in Ost und West und das lockere Verhältnis zur FDP.
Sie stellen sich mit Bernd Riexinger zur Wiederwahl als Vorsitzende. Heißt das, Sie sind mit sich und Ihrer Arbeit zufrieden?
Kipping Wir finden, dass sich die Bilanz der vergangenen zwei Jahre sehen lassen kann. Wir haben uns in Umfragen und im Wahlergebnis wieder deutlich nach oben entwickelt. Wir haben es auch geschafft, wieder Themen zu setzen. Wir reden auch konstruktiver über unsere Meinungsverschiedenheiten.
Sie beide wurden damals als Kompromiss gewählt, um die Flügel zu befrieden. Kann ein "Kompromiss" eine Partei mit Entschiedenheit führen?
Kipping Wir haben uns doch jeweils in kontroversen Wahlen durchgesetzt. Auch wir wollen nicht verschweigen, wo es Meinungsunterschiede in der Partei gibt. Aber wir wollen uns auf die gemeinsamen Positionen konzentrieren. Das konnten Bernd Riexinger und ich vorleben. Wir haben unsere Verschiedenheit nie als Bedrohung, sondern als Bereicherung empfunden.
Was ist denn das Ziel — Regieren oder Dauer-Opposition?
Kipping Wir wollen Armut vermeiden und die schrumpfende Mitte stärken. Wir wollen vor allem in der Außenpolitik eine starke Lobby für einen friedlichen Weg sein. Das sind unsere zentralen Ziele und wir schauen, aus welcher Position wir am meisten erreichen können. Wir machen aus der Opposition heraus Druck. Beim Mindestlohn ist das gelungen. Aber Regierungsbeteiligung kann natürlich auch ein Weg sein.
Welche Positionen müssten denn SPD und Grüne räumen, damit Sie mit Ihnen in eine Koalition gehen?
Kipping Ich würde erst einmal nach den Gemeinsamkeiten fragen. Wenn man in diesem Land ernsthaft eine Steuergerechtigkeit möchte, also eine Umverteilung von den Millionären hin zur Mitte, dann ist das mit der CDU nicht zu machen. Auch eine Energiewende, die nicht auf Kosten der Ärmsten geht, könnten nur wir mit SPD und Grünen zusammen hinkriegen.
Was wären denn Ihre Mindestbedingungen?
Kipping Es gibt ein paar Grundsätze, von denen wir nicht abweichen werden. Wir machen bei weiteren Privatisierungen und bei Kampfeinsätzen der Bundeswehr nicht mit.
Erstmals haben auch Linken-Abgeordnete dem Bundeswehr-Einsatz im Mittelmeer zur Giftgasvernichtung zugestimmt. Ist das ein neuer Trend?
Kipping Nein. Das war ein Einzelfall. Man konnte ihn ablehnen, weil es auch um potenziellen Waffeneinsatz geht, und man konnte ihm zustimmen, weil es um Abrüstung geht. Deshalb haben wir dafür geworben, das unterschiedliche Abstimmungsverhalten zu respektieren. Unsere klare Positionierung gegen Kampfeinsätze wird dadurch aber nicht aufgeweicht.
Darüber würden Sie niemals verhandeln?
Kipping Das Nein zu Kampfeinsätzen der Bundeswehr ist für mich eine klare rote Linie. Das müssen wir aus der Geschichte gelernt haben: Mit Gewalt lassen sich keine Konflikte lösen.
Sehen Sie trotzdem eine Perspektive für Rot-Rot-Grün? Sie haben ja diese Woche wieder zusammen gesessen.
Kipping Na klar, ich habe doch selbst das Institut "Solidarische Moderne" als Denkwerkstatt für überparteiliche linke Debatten mit gegründet. Es tut not, diese Diskussion zu führen, und zwar nicht nur von Abgeordneten: Wir müssen auch gesellschaftliche Kräfte mit ins Boot holen. Denn uns muss doch klar sein, dass eine Linksregierung, die für richtige Umverteilung sorgt, heftigen Gegenwind vom reichsten Zehntel der Gesellschaft bekommen wird. Deshalb hat Rot-Rot-Grün nur dann eine Chance, wenn es einen breiten gesellschaftlichen Wunsch nach Veränderung gibt.
SPD-Außenminister Frank-Walter Steinmeier will, dass Deutschland mehr Verantwortung in der Welt übernimmt. Können Sie sich da eine Annährung vorstellen?
Kipping Steinmeier drückt sich zwar etwas diplomatischer aus, im Grunde geht es aber um eine Militarisierung. Das empfinde ich als sehr besorgniserregend. Außenpolitisch bewegt sich die SPD gerade in die falsche Richtung. Sie sollte sich wieder an die Tradition von Willy Brandt erinnern.
Wo steht die Linke in fünf oder zehn Jahren: Sind Sie dann wieder eine Ostpartei? Ist die Episode Lafontaine dann vorbei?
Kipping Wir sind eine gesamtdeutsche Partei mit Hochburgen im Osten. Unsere Kernthemen Frieden, Armutsbekämpfung und Ost-West-Angleichung müssen ja bundesweit geregelt werden. Das geht alle an. Wir haben viel erreicht, aber da geht noch deutlich mehr, etwa wenn wir den Zeitgeist verändern oder neue Mitstreiter gewinnen. Ich will, dass die Linke die Heimat für alle wird, die die Gesellschaft verändern wollen.
Spürt man als gesamtdeutsche Partei auch neue Bedürfnisse, dass in der Infrastruktur nun nach dem Aufbau Ost eine Sanierung West nötig wäre?
Kipping Unabhängig von Ost oder West sollten wir über strukturschwache Regionen und ihre Bedürfnisse reden. Deshalb wollen wir ja einen Solidarpakt III, der das Geld nicht nach Himmelsrichtung verteilt. Aber es gibt immer noch spezifische Diskriminierungen. Der unterschiedliche Rentenwert führt beispielsweise dazu, dass die Frauen im Osten weniger Mütterrente bekommen als Frauen im Westen. Das lässt sich ein Vierteljahrhundert nach der Wende eigentlich nicht mehr erklären.
Fehlt Ihnen die FDP?
Kipping Politisch überhaupt nicht, aber persönlich hatten wir im Umgang miteinander eine gewisse Lockerheit, da sich die Zahl der Wechselwähler zwischen unseren Parteien doch sehr in Grenzen gehalten hat und wir als Koalitionspartner nicht in Frage kamen. Ich habe der FDP immer hoch angerechnet, dass sie nie einen Hehl daraus gemacht hat, für wen sie Lobbyist ist, nämlich für die Reichsten und Vermögenden.
Würden Sie die Liberalen auch auf Dauer nicht vermissen?
Kipping Der politische Liberalismus war historisch wichtig und bleibt es weiterhin. Das Problem der FDP war, dass sie ihre Partei nicht sozialliberal sondern an den Interessen der Vermögenden ausgerichtet hat.
Wer übernimmt die liberale Funktion der FDP?
Kipping Wenn es um Grund- und Freiheitsrechte unabhängig vom Geldbeutel geht, dann fühlen wir uns dieser Funktion verpflichtet.
Sie ersetzen also die FDP?
Kipping Natürlich nicht. Darum streiten sich CDU, SPD, Piraten und Grüne.
Was macht die Ukraine-Krise mit der Linken?
Kipping Das dominierende Gefühl in der Partei ist große Sorge. Vor hundert Jahren hat der Erste Weltkrieg begonnen, und es wäre eine Katastrophe, wenn es in Europa wieder einen Krieg gäbe.
Zuletzt hat die Linke als Putin-Versteher für Verwirrung gesorgt…
Kipping Das ist ein Vorurteil und eine üble Unterstellung. Ein Beschluss des Parteivorstands sagt klar: Wir sind in diesem Konflikt weder auf der Seite der Nato, noch auf der Seite von Russland. Beide Seiten setzen auf Eskalation und lassen die Säbel rasseln.
Teilen Sie die Einschätzung Ihrer Kollegin Sahra Wagenknecht, dass Putins Einnahme der Krim machtpolitisch nachvollziehbar ist?
Kipping Sie hat das in einem größeren Kontext gesagt und versucht, einmal die Gegenseite zu verstehen. Es gibt doch auch in der Bevölkerung hier ein großes Unbehagen, wenn man einseitig mit dem Finger auf Putin zeigt. Die Ukraine ist ein in sich sehr gespaltenes Land. Und wenn man sie zwingt, sich zu entscheiden, ob sie zum Osten oder zum Westen gehören will, verschärft man diese Spaltung.
Wie wollen Sie die Spaltung überwinden, wie mit den Separatisten umgehen, die sich auch von Putin nichts mehr sagen lassen?
Kipping Das zeigt doch genau, dass das Spiel mit dem Feuer eine Eigendynamik entwickelt und Kräfte hervorruft, die kaum mehr beeinflussbar sind. Aber es gibt keine Alternative zur Diplomatie. Das Agieren der Nato entschuldigt nicht das Agieren Russlands, aber dass sie jetzt dauerhaft Truppen an den Grenzen Russlands stationieren will, trägt sicher nicht zur Deeskalation bei. Der bessere Weg für die Ukraine wäre, sich als blockfreier Staat über einen föderalen Charakter zu verständigen. Wir sind dafür, dass die internationale Gemeinschaft jetzt eine deutliche Deeskalationsaufforderung an beide Seiten dieses Bürgerkriegs sendet. Das wäre zum Beispiel ein totales und multilaterales Waffenembargo für die gesamte Ukraine.
Halten Sie es noch für möglich, dass Snowden in Deutschland befragt wird?
Kipping Das Gutachten der Regierung war Ausdruck einer devoten Grundhaltung gegenüber den USA. Wer in einer Befragung Snowdens in Deutschland die Gefahr eines belasteten Verhältnisses zwischen Deutschland und den USA sieht, der verkennt, wer durch welche Handlungen dieses Verhältnis belastet hat. Das war nicht Snowden, das war die Abhörpraxis der USA. Es ist für Europa ein Armutszeugnis, dass wir Snowden keinen sicheren Aufenthalt gewähren, obwohl wir ihm so viele wichtige Informationen verdanken. Merkel behandelt Snowden wie einen Staatsfeind. Das ist schäbig. Es liegt letztlich an Snowden, ob er nach Deutschland kommt. Wenn er kommt, muss er in ein Zeugenschutzprogramm. Dafür gibt es die rechtlichen Spielräume. Wenn er käme, würden wir alle Hebel in Bewegung setzen. Ich kann mir nicht vorstellen, dass die SPD ernsthaft einer Abschiebung von Snowden zustimmt. Notfalls muss der Bundestag selbst die Richtung vorgeben. Dann müsste Merkel offen erklären, dass sie Snowden nicht schützen will.
Rena Lehmann und Gregor Mayntz führten das Interview.