Linken-Chefin Katja Kipping „Alle Bundesliga-Spiele im öffentlich-rechtlichen Fernsehen übertragen“

Berlin · Die Linksparteichefin wirft NRW-Ministerpräsident Laschet „Lockerungslobbyismus“ vor. Sie fordert die Unterbringung von Saisonkräften, Leiharbeitern und Flüchtlingen in Ferienwohnungen – und sie hat Ideen zur Bundesliga im Gratis-TV.

 Linksparteichefin Katja Kipping im Bundestag (Archiv).

Linksparteichefin Katja Kipping im Bundestag (Archiv).

Foto: AP/Michael Sohn

Frau Kipping, Sie kritisieren die Lockerungen der Corona-Maßnahmen scharf. Sehen Sie keine Gefahr für die Wirtschaft, wenn sie noch länger zum Erliegen kommt?

Kipping Die jetzigen Lockerungen werden zu einer zweiten - schlimmeren - Infektionswelle und damit zu einem zweiten und schärferen Shutdown führen. Die Gefahr ist groß, dass die Wirtschaft in Deutschland und damit der Sozialstaat dann erst recht komplett erschüttert werden. Das hat dann die Lockerungslobby von Lindner, Laschet und Co mit ihrer ökonomisch kontraproduktiven und kurzsichtigen Öffnungspolitik zu verantworten. Aber auch der Kurs der Bundesregierung hat blinde Flecken.

Welche?

Kipping Sie hat zum Beispiel keinen ausreichenden Schutzschirm für die Ärmsten aufgespannt. Deren Lebenshaltungskosten steigen aber in der Krise, oder für Solo-Selbstständige, die zwar Wirtschaftshilfen für das Unternehmen bekommen, aber für sich selbst Grundsicherung beantragen sollen. Doch zu den Tücken von Hartz IV gehört, dass das Einkommen des Partners angerechnet wird. Das bedeutet drastische Einbußen beim monatlichen Einkommen. Und die Regierung greift nicht durch bei Konzernen. Bei Amazon gab es viele Infizierte wegen Schlampereien beim Infektionsschutz, aber keine schmerzhaften Konsequenzen für das Unternehmen. Andere Firmen bringen Werksarbeiterinnen und Werksarbeiter und Saisonkräfte in Sammelunterkünften unter. Den Bürgern werden massive Einbußen zugemutet, aber beim Infektionsschutz in einigen großen Betrieben wird geschlampt. Sammelunterkünfte sollten durch dezentrale Unterbringung ersetzt werden. Das gilt auch für Geflüchtete. Viele Ferienwohnungen sind gerade frei. Die müssen angemietet werden, dann ist zugleich dieser Branche geholfen.

Was ist denn Ihrer Ansicht nach der richtige Kurs, um diese Pandemie bis zur Entwicklung eines Impfstoffs zu überstehen?

Kipping Bei den jetzigen Lockerungen ist die Infektionsrate nicht zu senken. Das Virus zu stoppen, erfordert erstens steuerndes Eingreifen in die Wirtschaft, zweitens Sammelunterkünfte durch dezentrale Unterbringung zu ersetzen sowie drittens medizinische Schutzmasken für alle und viel mehr Tests. Nicht nur für die Fußballbundesliga. Das fehlt doch an anderer Stelle. Ich rechne ohnehin nicht mit einem normalen Ende der Spielsaison. Was passiert, wenn manche Mannschaften mehrfach in Quarantäne kommen? Allein das wird für sportliche Ungerechtigkeit sorgen, weil nicht alle gleich trainieren können und Spiele verschoben werden müssen. Wenn sie dann aber doch stattfinden, müssen alle Spiele im öffentlich-rechtlichen Fernsehen übertragen werden, um zu vermeiden, dass die Fußballfans sich auf engen Raum bei denen versammeln, die Sky abonniert haben. 

Bleibt die Frage nach der Finanzierung. Wer soll das alles bezahlen? Die von Ihnen geforderte Vermögensabgabe nach dem Vorbild der 1950er Jahre wird dafür nicht reichen.

Kipping Eine Vermögensabgabe nach dem Vorbild der 50er Jahre würde dafür schon reichen, da hat ja ein sehr großer Teil der Bevölkerung fünfzig Prozent vom Vermögen abgegeben. Unser Vorschlag ist aber ein anderer: Die obersten ein Prozent sollen einmalig zehn Prozent abgeben, dann führen wir regulär die Vermögenssteuer wieder ein, beides mit großen Freibeträgen für Wohneigentum und Betriebsvermögen. Um es ganz deutlich zu sagen: Selbstgenutztes Wohneigentum, Oma ihr Häuschen, die eigene Wohnung sind natürlich durch den Freibetrag geschützt. Dazu kommt eine Stärkung des progressiven Steuersystems, die Finanztransaktionssteuer und weiteres. Und natürlich muss die Schuldenbremse aufgehoben werden. Wir dürfen nicht zulassen, dass die gering und normal verdienenden Menschen, die uns mit ihrem Einsatz durch die Krise tragen, am Ende auch noch die Kosten zahlen müssen.

Derzeit versammeln sich hinter „Hygiene“- Demonstrationen oder unter der Bezeichnung „Widerstand 2020“ Verschwörungstheoretiker, Links- und Rechtsextremisten. Befürchten Sie eine Entwicklung wie bei der AfD?

Kipping Gründe, die Bundesregierung zu kritisieren, gibt es ausreichend. Doch das da ist kein Protest gegen die Obrigkeit, sondern nur egoistisch. Rechte, die schon den Klimawandel leugneten, leugnen nun die Pandemie.

Berichte, dass auch Linksextremisten dabei sind, sind falsch?

Kipping Ich kann mir nicht vorstellen, dass sich da Linke wohlfühlen. Generell gilt, dass der Infektionsschutz nicht dafür missbraucht werden darf, dass Protestversammlungen nicht genehmigt werden. Man kann starke Botschaften auch durch Bilder senden, ohne sich zu nahe zu kommen so wie es etwa Fridays for Future zwischen Bundestag und Kanzleramt mit einer Plakat-Aktion gemacht hat. 

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