Empörung im Bundesgesundheitsministerium "Kassenzecke": Ärzte lästern über Kassenpatienten

Berlin (rpo). Auf der Internetseite facharzt.de haben Ärzte offenbar wenig Schmeichelhaftes über ihre Patienten hinterlassen. In der "Meckerecke" zogen einige Weißkittel mächtig vom Leder. Das Bundesgesundheitsministerium hat nun mit Empörung auf diese abfälligen Äußerungen von Ärzten gegenüber Kassenpatienten im Internet reagiert. Derweil gingen im vergangenen Jahr immer weniger Personen zum Arzt.

Ministeriumssprecherin Annelies Ilona Klug sagte am Freitag in Berlin, man könne nur "entsetzt" sein über die Vorfälle. Es sei zu begrüßen, dass das ARD-Magazin "Panorama" solche Entgleisungen öffentlich gemacht habe.

"Panorama" hatte am Donnerstagabend über eine "Meckerecke" der Internetseite www.facharzt.de berichtet. Dort habe ein Arzt einen gesetzlich Versicherten als "Kassenzecke" bezeichnet. Ein anderer habe sich geärgert, weil er vergessen habe, eine Patientin auf die Privatrechnung hinzuweisen und nun die Kosten selbst tragen müsse. Der Mediziner beklagte sich über "schmarotzendes Gesocks". Weiter verglichen einige Ärzte das Gesundheitssystem mit der Inquisition im Mittelalter, der Judenverfolgung während der NS-Diktatur und den Stasimachenschaften in der DDR.

Der Vorstandsvorsitzende der Kassenärztlichen Bundesvereinigung (KBV), Andreas Köhler, distanzierte sich in der Sendung von solchen Entgleisungen und stellte die Zulassung für diese Ärzte in Frage. Auf ddp-Anfrage stellte Köhler am Freitag zugleich klar, dass es sich um Einzelfälle handelt. "Solche Entgleisungen sind nicht typisch für die deutsche Ärzteschaft", sagte Köhler. Die KBV vertritt rund 140 000 Mediziner.

Praxisgebühr: Kassenpatienten deutlich seltener beim Arzt

Seit Einführung der Praxisgebühr Anfang 2004 gehen deutlich weniger Kassenpatienten zum Arzt. Die Fallzahl in den Praxen ging vergangenes Jahr um insgesamt 8,7 Prozent zurück, wie die Kassenärztliche Bundesvereinigung am Freitag erklärte. Fachärzte wie Frauen-, Augen-, Haut- und HNO-Ärzte sowie Chirurgen und Urologen verzeichneten zweistellige Rückgänge. Das Sozialministerium bewertete die Entwicklung positiv. Die gewünschte Steuerungswirkung der Gebühr sei erreicht worden.

Nach den Zahlen der KBV zog sich der Rückgang der Fallzahlen durch alle Quartale nach Start der Praxisgebühr von zehn Euro vor einem Jahr. Damit sei erwiesen, dass die Gebühr "nachhaltig zum Rückgang der Inanspruchnahme" führe, heißt es in einer Übersicht des Zentralinstituts für die kassenärztliche Versorgung.

Bei Hausärzten fiel der Rückgang der Fallzahlen mit 6,7 Prozent deutlich geringer aus als bei Fachärzten. Besonders stark war er bei Frauenärzten mit minus 15,1 Prozent und Hautärzten mit minus 17,5 Prozent. Auch kamen nun deutlich mehr Patienten auf Überweisung eines Arzts, bei dem sie bereits gezahlt hatten: Gingen 2003 weniger als zehn Prozent auf Überweisung zu anderen Ärzten, so waren es 2004 mehr als 40 Prozent. Zu Fachärzten kamen sogar 50 bis 70 Prozent mit Überweisungsschein.

Junge Leute besonders zurückhaltend

Besonders zurückhaltend beim Gang zum Arzt waren junge Leute zwischen 20 und 39 Jahren. In dieser Altersgruppe verzeichneten die Ärzte 16,2 Prozent weniger Fälle. Patienten über 60 ließen sich seltener abschrecken: Bei ihnen ging die Fallzahl um sechs Prozent zurück.

Auch sank die Zahl der Arztkontakte weniger stark als die Fallzahl, nämlich nur um 2,9 Prozent. Das heißt: Wer einmal beim Arzt bezahlt hatte, kam doch recht häufig. "Diese Zahlen lassen vermuten, dass die Ärzte nach Einführung der Praxisgebühr wahrscheinlich ihren Fokus verstärkt auf die Behandlung von Patienten mit ernsthaften und entsprechend kontaktintensiven Erkrankungen gerichtet haben", heißt es in dem Papier.

Aus den Zahlen schließt das Sozialministerium, dass Patienten bei Bagatellerkrankungen wie Schnupfen eher als früher auf Arztbesuche verzichten, sich aber bei schweren Erkrankungen von der Gebühr nicht abhalten lassen. Auch der gewünschte Effekt, sich zunächst an den Hausarzt zu wenden, sei erreicht worden, sagte eine Sprecherin. Dagegen sei nicht zu erkennen, dass Arme wegen der Gebühr auf notwendige Arztbesuche verzichteten.

(afp)
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