Gesundheit Kassenpatienten sollen schneller Arzttermine bekommen
Berlin · Gesundheitsminister Jens Spahn (CDU) spricht von „Zuckerbrot und Peitsche“ für die Kassenärzte: Sie werden per Gesetz zu mehr Sprechstunden gezwungen, sollen im Gegenzug dafür aber auch mehr Geld verdienen können.
Gesundheitsminister Jens Spahn (CDU) will mit einem neuen Gesetz dafür sorgen, dass Kassenpatienten künftig schneller Termine bei Haus- und Fachärzten erhalten. Dazu sollen die Mindestsprechzeiten von Kassenärzten von 20 auf 25 Stunden pro Woche angehoben und die Terminservicestellen (TSS) der Kassenärztlichen Vereinigungen (KVen) zur Terminvergabe an Patienten ausgebaut werden. Bestimmte Arztgruppen – insbesondere Haus- und Kinderärzte, Frauenärzte, Augenärzte und HNO-Ärzte – werden verpflichtet, mindestens fünf Stunden pro Woche als offene Sprechstunden ohne vorherige Terminvereinbarungen anzubieten. Für dieses zusätzliche Angebot sollen sie von den gesetzlichen Krankenkassen außerhalb der sonst üblichen Budgetdeckel entlohnt werden.
Ein Hauptargument gegen die so genannte Zwei-Klassen-Medizin in Deutschland – dem Nebeneinander von gesetzlicher und privater Krankenversicherung – ist nach Darstellung Spahns, dass gesetzlich Versicherte oftmals länger auf einen Facharzttermin warten müssten als privat Versicherte. Dieses Problem will Spahn nun angehen, indem Kassenärzte einerseits zu erhöhtem Engagement gezwungen werden. Andererseits sollen aber auch die finanziellen Anreize für ein verbessertes Terminangebot erhöht werden.
Niedergelassene Ärzte erhalten ein festgelegtes Budget für die Behandlung von Kassenpatienten von den Kassen zugewiesen. Überschreiten sie diese Summe, werden nicht alle erbrachten Leistungen voll bezahlt. Damit sinkt bisher der Anreiz, neue Patienten aus der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) aufzunehmen. Zudem zahlen private Kassen in der Regel deutlich höhere Sätze für eine Behandlung als die GKV. Deshalb achten niedergelassene Ärzte in der Regel darauf, dass ein nennenswerter Anteil ihrer Patienten privat versichert sind. Diese Patienten werden auch deshalb bei der Terminvergabe bevorzugt.
Spahn sprach von einer Kombination aus „Zuckerbrot und Peitsche“ für die Ärzte. Es sei kein Gesetz gegen sie, aber er wolle diejenigen unter den Kassenärzten, die ihren Versorgungsauftrag erfüllten, besser gegen diejenigen schützen, die es nicht täten. Es gebe Ärzte, die trotz ihres Kassensitzes ihrer Verpflichtung zu ausreichenden Terminangeboten nicht nachkämen. Das Gesetz sei „ausdrücklich“ kein Misstrauensbeweis gegenüber der Ärzteschaft. Die Ärzte hatten die Pläne scharf kritisiert. Der Chef der Kassenärztlichen Bundesvereinigung (KBV), Andreas Gassen, hatte Spahns Gesetz als „Mogelpackung“ bezeichnet. Durch das Mehr an offenen Sprechstunden würden „Chaos und längere Wartezeiten in den Praxen zunehmen“.
Vorgesehen ist, dass Ärzte für neue Patienten, die sie aufnehmen, außerhalb des für alle anderen üblichen Budgetdeckels die vollen Pauschalen erhielten. Das Gleiche soll für solche Patienten gelten, die von den TSS vermittelt wurden oder die in den offenen Sprechstunden behandelt werden. Belohnt werden auch Hausärzte, wenn sie persönlich für einen Facharzt-Termin sorgen.
Um die Ärztedichte auf dem Land zu erhöhen, verpflichtet das Gesetz für die KVen, regionale Zuschläge an Ärzte auf dem Land zu zahlen. Bisher war dies nur freiwillig. Bleiben Regionen dennoch unterversorgt, müssen die KVen künftig selbst dafür sorgen, dass hier eine ausreichende Gesundheitsversorgung gewährleistet ist. Weitere Teile des Gesetzes sind auch Verbesserungen für HIV-Patienten und für Paare, die sich nach einer Krebserkrankung ihren Kinderwunsch erfüllen möchten. Die Kosten des Gesetzes für die Beitragszahler bezifferte Spahn auf 500 bis 600 Millionen Euro pro Jahr. Das sei finanzierbar, weil sich die Einnahmensituation der Kassen so stark verbessert habe.
Auf die von der Koalition ebenfalls vereinbarte Erhöhung des Kassenzuschusses zum Zahnersatz von 50 auf 60 Prozent müssen die Versicherten allerdings bis zum Jahr 2021 warten. Auch das sehe der Gesetzentwurf vor, so Spahn. Dies sei aber finanziell nicht anders darstellbar. Die Mehrkosten veranschlagte das Ministerium auf weitere 600 Millionen Euro jährlich.
Kritik kam am Montag aus dem Kreis der Kassen. „Die Krankenkassen und damit letztlich die Versicherten werden diese Erhöhung der Mindestsprechzeiten mit zusätzlichem Geld finanzieren müssen“, sagte Franz Knieps., Chef des Dachverbands der Betriebskrankenkassen. „Zusätzliche Honorare zu Lasten der Versichertengemeinschaft sind jedoch inakzeptabel, solange nicht sichergestellt wird, dass die zusätzlichen fünf Stunden auch real in der Versichertenversorgung ankommen. Hier braucht es Transparenz. Zum gegenwärtigen Zeitpunkt ist jedoch vollkommen unbekannt, in welchem Umfang niedergelassene Ärzte tatsächlich für die Versorgung von GKV-Versicherten zur Verfügung stehen“, sagte Knieps.