Afghanistan-Oberst Kirsch im Interview "Kampftruppen auch nach 2014 nötig"

Düsseldorf · Der Chef des Bundeswehrverbandes, Oberst Ulrich Kirsch, will, dass auch nach dem Abzug eine Reserve am Hindukusch bleibt, die bei Krisen eingreifen kann.

 Ulrich Kirsch sprach mit unserer Redaktion über den Bundeswehreinsatz in Afghanistan.

Ulrich Kirsch sprach mit unserer Redaktion über den Bundeswehreinsatz in Afghanistan.

Foto: AP, AP

Nach Ansicht des Deutschen Bundeswehrverbandes benötigt die Bundeswehr auch nach 2014 Kampftruppen in Afghanistan. Verbandschef Oberst Ulrich Kirsch im Gespräch mit unserer Redaktion:

Die Bundeswehr hatte 2012 keinen Gefallenen zu betrauern. Die Afghanen sorgen selbst für Sicherheit, die Abzugs-Vorbereitungen laufen — sind die Gefahren gebannt?

Kirsch Nach wie vor haben wir Verwundete, das dürfen wir nicht übersehen. Und die afghanischen Sicherheitskräfte haben viele Tote zu beklagen. Nach meinen Erfahrungen sind die Gefahren in Afghanistan nicht gebannt. Die Aufständischen hatten zwar schwere Verluste, aber sie organisieren sich neu, und sie haben auch schon angekündigt, den abziehenden Truppen noch eine Lektion erteilen zu wollen. Die Lage bleibt labil.

Worauf kommt es in Zukunft in Afghanistan an?

Kirsch Die Rückverlegung muss gut abgesichert sein. Und dazu werden auch nach 2014 Kampftruppen in Afghanistan benötigt werden. Wir brauchen eine Reserve, die in der Lage ist, auf Krisen zu reagieren.

Wie groß muss diese Reserve sein?

Kirsch Das lässt sich jetzt noch nicht genau absehen, aber ich denke, dass ein Größenumfang von einem verstärkten Bataillon, also 600 bis 800 Soldaten, mit Sicherheit nötig sein wird, um jederzeit eingreifen zu können.

Die Abbrecherquote unter den freiwillig Wehrdienstleistenden steigt. Ist die Bundeswehr zu unattraktiv?

Kirsch Vielleicht führt die Werbung in die Irre. Eine Kampagne, die auf Abenteuerlust zielt, wird der Ernsthaftigkeit des Soldatenberufes nicht gerecht. Und sicherlich ist es auch nicht hilfreich, im Stil von Schokoriegeln für den Dienst in den Streitkräften zu werben. Aber das ist nur eine Seite der Medaille. Ein Drittel verlässt die Bundeswehr vorzeitig — 90 Prozent davon auf eigenen Wunsch und zehn Prozent, weil der Arbeitgeber die Weiterbeschäftigung nicht für sinnvoll hält. Ich kann nur empfehlen, dass die Bundeswehr sich die Motive näher anschaut, so wie wir es vom Verband schon einmal gemacht haben.

Mit welchem Ergebnis?

Kirsch Uns haben freiwillig Wehrdienstleistende deutlich gemacht, dass sie eine aktivere Aufklärung über den Dienst für erforderlich halten. Die jungen Leute müssen wissen, was sie genau erwartet. Damit lässt sich vielleicht auch gegen die Unwucht vorgehen, dass zwar 1300 junge Männer, aber nur 130 junge Frauen den Dienst antreten. Dabei weiß ich, dass unter diesen Frauen viele außerordentlich tough und sehr wichtig für die Bundeswehr sind.

Was wird in der nächsten Zeit die größte Herausforderung?

Kirsch Die Rückverlegung aus Afghanistan wird zu einer logistischen Herkulesaufgabe. Das ist vielen noch nicht ganz bewusst. Und es ist schon absehbar, dass neue Aufgaben auf die Truppe zukommen. Die USA kürzen ihren Verteidigungshaushalt und konzentrieren sich auf den asiatisch-pazifischen Raum. Das bedeutet, dass die Europäer und auch die Bundeswehr mehr tun müssen. Es wird daher Zeit, die Diskussion über europäische Streitkräfte voranzutreiben. Außerdem müssen wir beim Blick auf neue Einsätze, wie etwa in Mali, sehen, was wir aus früheren Einsätzen gelernt haben.

Was haben wir gelernt?

Kirsch Wir haben hoffentlich gelernt, dass wir die Ziele nicht so hoch stecken sollten. Ich erinnere mich an die Erwartung einer Entwicklungsministerin, dass durch den Bundeswehreinsatz binnen weniger Jahre keine Frau in Afghanistan mehr Burka tragen werde. Offenbar sind wir mit großer Oberflächlichkeit an die Einsätze herangegangen, das darf uns nicht mehr passieren. Die Ziele müssen klar gesteckt sein: Was wollen wir in Mali eigentlich erreichen? Das ist uns Soldaten noch nicht klar. Mit dieser Skepsis sind wir aber offensichtlich nicht allein.

Gregor Mayntz führte das Gespräch.

(may-)
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