Netanjahu in Berlin Belastete Freundschaft

Berlin · Der Besuch von Israels Ministerpräsident Benjamin Netanjahu in Berlin ist überschattet von Differenzen über die geplante Justizreform. Bei Gesprächen mit Bundeskanzler Olaf Scholz gab es deutliche Worte der Kritik - im Zeichen der Freundschaft.

 Benjamin Netanjahu, Ministerpräsident von Israel, und Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD, l.) besuchen das Mahnmal Gleis 17 in Grunewald.

Benjamin Netanjahu, Ministerpräsident von Israel, und Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD, l.) besuchen das Mahnmal Gleis 17 in Grunewald.

Foto: dpa/Michael Kappeler

Wenn Olaf Scholz etwas nicht gerne macht, dann ist es Einblick in sein Inneres zu geben. Der Kanzler ist nicht unemotional - er lässt nur nicht so gerne Menschen an seinen Gefühlen teilhaben. Doch am Donnerstag im Berliner Grunewald kann auch der Polit-Profi seine Gefühle nicht verbergen. Scholz trägt die Kippa, die traditionelle religiöse Kopfbedeckung jüdischer Männer, und legt gemeinsam mit dem israelischen Ministerpräsidenten Benjamin Netanjahu einen Kranz am Mahnmal „Gleis 17“ ab. Das Mahnmal steht für die etwa 10.000 während der Naziherrschaft aus Berlin in Arbeits- und Konzentrationslager deportierten Juden.

„Dies ist ein sehr bewegender, berührender Moment. Man kann hier nicht stehen, ohne dass einem die ganzen Erinnerungen hochkommen an die Geschichte, an die furchtbare Zerstörung jüdischen Lebens in Europa ‑ durchgeführt von Deutschen, durchgeführt von Deutschland und in industrieller Art und Weise organisiert. Hier ist ein Ort, wo ganz viele Menschen deportiert worden sind, wo sie in den Tod gefahren sind“, sagt Scholz - und man kann ihm ansehen, dass es ihm nahe geht.

Der Bundeskanzler unterstreicht die aus der Geschichte erwachsende Verantwortung, das jüdische Leben in Deutschland zu schützen. „Wir werden unserer Verantwortung auch gerecht werden durch die enge Verbundenheit und Freundschaft mit Israel.“ Die Sicherheit Israels sei bleibende deutsche Staatsräson. Es ist ein Stein gemeißelter Satz. Auch wenn der Mann an seiner Seite für große Konflikte sorgt. Außerhalb, aber derzeit vor allem innerhalb Israels.

Netanjahus geplante Justizreform steht im Kreuzfeuer der Kritik. Gegner befürchten von der Reform eine Schwächung des israelischen Rechtsstaates und der demokratischen Gewaltenteilung. Seit Wochen kommt es in Israel zu Massenprotesten gegen. Netanjahus Gegner werfen ihm und seiner Koalition vor, gezielt die Judikative schwächen zu wollen, die Demokratie zu untergraben. Die Regierung will mit der Reform unter anderem ihren Einfluss bei der Auswahl von Richtern stärken und die Befugnisse des Obersten Gerichtshofs einschränken, Gesetze zu kippen. Sie begründet dies mit dem Vorwurf, Richter hätten sich über Gebühr in die Politik eingemischt.

Später im Kanzleramt übt Scholz dann auch Kritik an der geplanten Reform, so weit ihm das die Diplomatie bei einem Gast im Kanzleramt erlaubt. „Als demokratische Wertepartner und enge Freunde Israels verfolgen wir diese Debatte sehr aufmerksam und - das will ich nicht verhehlen - mit großer Sorge“, formuliert der SPD-Regierungschef. Scholz verweist auf Kompromissvorschläge von Israels Präsident Isaac Herzog. „Wir wünschen uns als Freunde Israels, dass das letzte Wort über die Reformvorschläge noch nicht gesprochen ist“, sagt Scholz. Israels Präsident hatte sich wiederholt mit Kompromissvorschlägen zu Wort gemeldet und die Regierung Netanjahu aufgefordert, die geplante Reform zurückzunehmen. Allerdings wies Netanjahu diese Kompromisse bereits zurück. Und gibt sich auch im Berliner Kanzleramt uneinsichtig: Israel bleibe auch mit der geplanten Justizreform eine „liberale Demokratie“. „Die Demokratie in Israel ist stark und lebendig, wir werden keinen Zentimeter davon abweichen.“ Vorwürfe, seine Regierung wolle die Demokratie abschaffen, weist der israelische Ministerpräsident als „absurd“, „unberechtigt“ und „lächerlich“ zurück.

Vielmehr gelte es, ein in Israel bestehendes Ungleichgewicht zwischen den Gewalten zu korrigieren. Die Reform werde diese am Ende „in Einklang bringen, repräsentativer machen und Meinungen in der Gesellschaft mehr abbilden“, erklärt der israelische Regierungschef.

Am Rand des Besuchs in der Gedenkstätte kommt es auch zu einer Begegnung Netanjahus mit dem Präsidenten des Zentralrats der Juden in Deutschland, Josef Schuster. „Ich habe dem Ministerpräsidenten meine Sorge darüber ausgedrückt, dass seine Regierung die israelische Gesellschaft zunehmend spaltet und dabei ist, Vertrauen in das demokratische Israel zu verspielen“, erklärt Schuster danach. Juden in Deutschland und in aller Welt stünden fest an der Seite Israels und wollten dies auch weiterhin tun. Ob die Kritik Folgen hat? Netanjahu wirkt derzeit als perle alle Kritik an ihm unbeeindruckt ab.

Beiden Regierungschefs sprechen auch über Irans Atomprogramm, die Solidarität beider Länder mit der Ukraine im russischen Angriffskrieg sowie die Sorge um die aktuellen Eskalationen im Nahostkonflikt. Alles unangenehme Themen, doch ist hier, besonders mit Blick auf den Iran, die Übereinstimmung der beiden Staatsmänner größer. Und noch etwas bleibt: Beide Länder wollen ihre Rüstungskooperation weiter ausbauen. Scholz bekräftigt seinen festen Willen, das israelische Luftabwehrsystem Arrow 3 anzuschaffen. Der Kanzler betont auch, dass umgekehrt die deutschen Rüstungsexporte nach Israel fortgesetzt werden. Es sei klar, „dass wir auch weiter Waffen nach Israel liefern werden“. Es ist eine stabile Freundschaft zwischen Deutschland und Israel. Doch sie wird gerade einer harten Prüfung unterzogen.

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