Gesetzesnovelle Justizminister will Stalking-Opfer besser schützen

Berlin · Nervtötende Nachstellungen und traumatisierende Bedrohungen betreffen nicht nur Berühmtheiten - allein in Deutschland gibt es pro Jahr 20.000 Anzeigen. Nun soll es leichter werden, Täter zu bestrafen.

 Stalking-Fälle ziehen sich oftmals über einen schmerzhaft langen Zeitraum hin.

Stalking-Fälle ziehen sich oftmals über einen schmerzhaft langen Zeitraum hin.

Foto: dpa

Es trifft längst nicht nur Stars und Berühmtheiten. Und es kann ganz harmlos beginnen. Etwa mit einem Konto bei einem sozialen Netzwerk unter einem täuschend ähnlichen Benutzernamen, der dann alle Aktivitäten begleitet und in den Freundeskreis eindringt. Es werden E-Mails daraus, Telefonate, Bedrohungen. Stalking ist weiter verbreitet als vermutet. Allein in Deutschland halten pro Jahr rund 20.000 Frauen und Männer die permanente Verfolgung nicht mehr aus und gehen zur Polizei. Doch die Zahl der Verurteilungen ist in den letzten Jahren von zwei auf ein Prozent gesunken.

Stalkern schneller das Handwerk legen

Weil die Hürden zu hoch sind, um die Opfer wirksam schützen zu können, hat Justizminister Heiko Maas (SPD) eine Gesetzesnovelle geschrieben und den Verbänden in dieser Woche zur Stellungnahme geschickt. Schon vor der Sommerpause könnte es der Bundestag den Gerichten erleichtern, Stalkern das Handwerk zu legen.

Oft handelt es sich um Männer mit geringem Selbstwertgefühl, die in ihrem narzisstischen Charakter nicht verwinden können, dass ihre Partnerin sich von ihnen getrennt hat. Aber ihre Versuche, die Beziehung wieder aufzunehmen, enden nicht nach dem wiederholten Nein. Sie werden sogar intensiviert, werden zur Manie und können beim Opfer schwere traumatische Belastungsstörungen auslösen.

Einige Fälle enden grauenhaft

Und manchmal können sie auch grauenhaft enden, wie etwa bei Corinna und Michael in einem Dorf bei Bremen. Er lernte eine andere Frau kennen, sie trennte sich von ihm und wollte ihn auch nicht mehr zurück, als er seine Beziehung beendete. Er stellte ihr nach, immer exzessiver. Die Nachbarn informierten die Polizei. Auch ein gerichtlich beantragtes Kontaktverbot hatte keinen Erfolg. An einem Montag lauerte Michael seiner Ex an ihrem Arbeitsplatz auf und tötete sie mit 16 Messerstichen.

Doch nicht in allen Fällen kennen sich Täter und Opfer. Und nicht immer ist der Täter ein Mann. Nach Schätzungen laufen 17 Prozent der Frauen und vier Prozent der Männer Gefahr, Stalking-Opfer zu werden. Und stets sucht der Stalker eine besondere Beziehung zum Opfer. Er lässt sich auch nicht entmutigen, wenn 50 E-Mails unbeantwortet blieben. Die eine mit der Beschwerde über die Belästigung begreift er als Belohnung und bereitet sich auf die nächsten 51 Kontaktversuche vor. Nach Studien ist der Telefonterror die häufigste Form des Stalkings. Mehr als die Hälfte erleben Rufschädigungen, unerwünschte Liebesbeweise oder Zerstörungen ihres Eigentums. Und oft werden auch Waren an die Opfer geliefert, ohne dass sie sie bestellt hatten.

2007 reagierte der Gesetzgeber und fügte den Anti-Stalking-Paragrafen 238 ins Strafgesetzbuch ein. Seitdem muss derjenige eine Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder eine Geldstrafe fürchten, der "einem Menschen unbefugt nachstellt" und dabei "beharrlich" seine Nähe sucht, Telefon- oder E-Mail-Kontakt aufnimmt, Bestellungen für ihn aufgibt oder ihn oder einen ihm Nahestehenden bedroht. Der springende Punkt dabei ist jedoch die Bedingung, dass durch diese Handlungen der Täter die Lebensgestaltung des Opfers "schwerwiegend beeinträchtigt".

Tausend kleine Nadelstiche

Das hindert die Gerichte zumeist daran, den täglichen Terror mit vielen Tausend kleinen Nadelstichen zu ahnden, so schwerwiegend die Beeinträchtigung der Psyche auch ist. Ursprünglich wollte der Gesetzgeber verhindern, dass "Überängstliche" klagen oder auch "besonders Hartgesottene, die sich durch das Nachstellen nicht beeindrucken lassen", wie es der Bundesgerichtshof formulierte. Doch die Einschränkung hat in der Praxis dazu geführt, dass nicht die Tat an sich strafwürdig ist, sondern dass die Beweislast allein bei den Opfern liegt, und zwar derart, dass ihnen schwere Beeinträchtigungen nicht nur drohen, sondern schon eingetreten sein müssen. Erst wenn sie auf der Flucht vor dem Peiniger umgezogen sind, ihre Arbeitsstelle gewechselt haben oder sich nicht mehr aus dem Haus trauen, können sie mit Erfolgsaussicht klagen. Stalker werden so lange eingeladen, in ihrer Aggressivität fortzufahren.

"Durch diese hohe Hürde fühlen sich Opfer von Stalking oftmals alleine gelassen und von den Strafverfolgungsbehörden nicht verstanden", fasste Minister Maas zusammen, als er vor drei Monaten 80.000 Unterschriften entgegennahm. Mary Scherpe hatte sie unter einer Petition gesammelt, mit der sie eine "Änderung vom Erfolgs- zum Eignungsdelikt" verlangte. Scherpe, durch ein Modestil-Blog bekannt geworden, hatte selbst Stalker-Attacken erleben müssen und darüber auch ein Buch geschrieben. Ihr Anliegen: Nicht erst wenn der Täter "Erfolg" hat und der Schaden eingetreten ist, sondern schon wenn seine Handlungen genau dazu führen können, soll Bestrafung möglich sein.

Opposition bleibt skeptisch

Tatsächlich liest sich die Neuformulierung nun genau so: "Mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder mit Geldstrafe wird bestraft, wer einer anderen Person in einer Weise unbefugt nachstellt, die geeignet ist, deren Lebensgestaltung schwerwiegend zu beeinträchtigen."

Die Opposition ist von dem Referentenentwurf noch nicht überzeugt. Grünen-Rechtsexpertin Katja Keul begrüßt zwar die Novelle, bleibt aber skeptisch, ob die Formulierung für die Praxis sinnvoll ist. Sie befürchtet, dass die "Geeignetheit" weiterhin nur objektiv nachweisbar ist, wenn das Opfer eine klare Reaktion zeigt. Auch für Halina Wawzyniak, Rechtspolitikerin der Linken, ist der Entwurf "problematisch". Sie schlägt deshalb vor, dass ein ärztliches Attest künftig ausreichen soll, um den vom Stalker erzeugten Druck beim Opfer zu belegen. Allerdings unterstützt sie das Vorhaben von Maas, künftig den Opfern die Last zu nehmen, sich selbst um die Verfolgung der Straftat kümmern zu müssen.

(may-)
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