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Interview mit Juso-Chefin Jessica Rosenthal „Ich kann auch ohne das Etikett Volkspartei leben“

Berlin · Die neue Juso-Chefin über fehlende Schulkonzepte in der Pandemie, ihre Erwartungen an die SPD und Kanzlerkandidat Olaf Scholz - und warum nichts der politischen Kultur besser tun könnte als Kevin Kühnert im Bundestag.

 Jessica Rosenthal (28), Bundesvorsitzende der Jusos. (Archiv)

Jessica Rosenthal (28), Bundesvorsitzende der Jusos. (Archiv)

Foto: dpa/Kay Nietfeld

Frau Rosenthal, Sie sind Lehrerin. Wo hakt es in dieser Pandemie derzeit am meisten an den Schulen?

Rosenthal Es gibt seitens der Landesbildungsministerien weder einheitliche Konzepte noch besondere Unterstützung vor Ort, die über ein paar technische Hilfen hinausgingen. Beispielsweise sind Kinder, die sich mit mehreren Geschwistern ein Zimmer oder ein Endgerät teilen müssen, derzeit kaum in der Lage, den Schulstoff abzuarbeiten. Das sorgt für massive Ungleichheiten beim Lernfortschritt, die sich über Jahre fortsetzen werden.

Was braucht es aus Ihrer Sicht?

Rosenthal Mehr Mut zu kreativen Lösungen. Junge oder benachteiligte Schülerinnen und Schüler oder Schulen ohne digitale Ausstattung sollten schnellstmöglich in Kleingruppen von vier Schülerinnen und Schülern aufgeteilt werden und auch bei höheren Inzidenzwerten über den Tag gestaffelt Präsenzunterricht erhalten. Außerdem brauchen wir einen Fonds von Bund und Ländern, der unbürokratisch Mittel bereitstellt, damit die Schulen kurzfristig mehr Personal bekommen können. Und zwar nicht nur für die Zeit der Pandemie. Ich rede von ein bis zwei Jahren, in denen die Klassen geteilt und mit mehr Lehrkräften eng betreut werden, um den liegen gebliebenen Stoff aufzuholen.

Woher soll das Personal kommen?

Rosenthal Lehramtsstudierende könnten beispielsweise auch mit kreativen Anpassungen der Studienpläne für Lernzeiten unterstützen, in denen die Kinder die gestellten Aufgaben bearbeiten. Pädagoginnen und Pädagogen aus Museen und Theatern könnten mitbetreuen. Ich finde es erschreckend, dass im Bund und den Ländern bislang niemand an einer Umsetzung solcher Ideen arbeitet. Wir hängen gerade viele Schülerinnen und Schüler ein Jahr lang ab und diskutieren ernsthaft darüber, ob für sie nicht Sitzenbleiben in Frage kommt, statt das Problem zu lösen. Das darf doch nicht wahr sein!

Sie arbeiten an einer Schule in Bonn. Können ein Kinderbonus oder ein Aufschlag bei Hartz IV bei den Betroffenen, die Sie gut kennen, einen echten Unterschied in der Pandemie-Krise machen?

Rosenthal Ich unterrichtete Kinder, die hungrig in die Schule kamen und deren einzige Verpflegung das Kantinenessen war. Das fällt jetzt weg, die finanzielle Belastung für die Familien ist gestiegen mit der Krise. Und auch die technische Ausstattung vieler Kinder ist oft zu schlecht für den Unterricht. Da hat es zwar schon Hilfen gegeben; solche weiteren Zuschläge machen aber einen echten Unterschied und sind nicht nur ein Symbol.

Genügen Ihnen also die Beschlüsse des Koalitionsausschusses?

Rosenthal Die Beschlüsse des Koalitionsausschusses sind ein wichtiger Schritt, besonders für von Armut betroffene Menschen und Familien. Wir haben im letzten Jahr schon gesehen, wie wichtig der Kinderbonus war. Seine Neuauflage und der Corona-Zuschlag von jeweils 150 Euro bedeuten hoffentlich eine kurze Verschnaufpause für diejenigen, die besonders unter der Pandemie leiden. Auch die Fortführung des einfacheren Zugangs zur Grundsicherung ist eine Entlastung. Die Beschlüsse sind also ein guter Anfang. Jetzt muss die Ministerpräsidentenkonferenz mit Konzepten nachlegen. Das gilt besonders für die erwähnten kreativen Lösungen in den Schulen und ein besseres Impfkonzept.

Junge Menschen leiden stark unter der Pandemie. Was braucht es, um sie besser zu unterstützen?

Rosenthal Wer heute von der Schule kommt, muss sich um die Zukunft deutlich größere Sorgen machen als das noch vor einem guten Jahr der Fall war. Die wirtschaftliche Lage wird über einen langen Zeitraum angespannt sein. Deswegen fordern wir die Einführung einer umlagefinanzierten Ausbildungsgarantie. Alle Unternehmen und die öffentlichen Haushalte müssen einen finanziellen Beitrag leisten, mit dem die Ausbildungsplätze in krisenfesten Betrieben finanziert würden. Von einem solchen Nachschub an Fachkräften profitieren später auch Unternehmen, die jetzt nicht mehr ausbilden können. Wer über Fachkräftemangel klagt, muss etwas dagegen tun.

Was ist mit den Studierenden?

Rosenthal Wir fordern ein elternunabhängiges Bafög, das als Regel gilt und nicht wie heute als Ausnahme. Es würde als Vollzuschuss allen Studierenden zur Verfügung stehen, damit die sich auf ihr Studium konzentrieren können. Das wollen wir ins SPD-Wahlprogramm bringen. Neben diesen finanziellen Fragen bewegt mich der eklatante Mangel an jungen Menschen in den Parlamenten, weswegen ihre Belange in der Pandemie bislang viel zu kurz kommen.

 Jessica Rosenthal, Juso-Chefin, mit ihrem Amtsvorgänger Kevin Kühnert (Mitte) und SPD-Kanzlerkandidat Olaf Scholz. (Archiv)

Jessica Rosenthal, Juso-Chefin, mit ihrem Amtsvorgänger Kevin Kühnert (Mitte) und SPD-Kanzlerkandidat Olaf Scholz. (Archiv)

Foto: dpa/Kay Nietfeld

Wollen Sie neben einer Geschlechterquote auch eine Altersquote?

Rosenthal Nein, eine Quote für junge Menschen in der Politik braucht es nicht. Aber alle Parteien müssen begreifen, dass sie ein ernstes Problem bekommen, wenn es immer nur bei Lippenbekenntnissen bleibt. Alleine in der SPD bewerben sich gerade 80 junge Menschen um Bundestagskandidaturen. Da erwarte ich von der Partei, dass sie diesen jungen Kandidierenden unterstützt, auch mit guten Listenplätzen. Der aktuellen SPD-Bundestagsfraktion fehlt es – wie allen Fraktionen – an jungen Menschen, das ist offensichtlich.

Welches Zeugnis stellen Sie als Lehrerin Ihrer Parteispitze um Umgang mit der Pandemie aus?

Rosenthal Ich bin keine Freundin von Noten, übrigens auch nicht an den Schulen, denn sie sind ein sehr verkürztest Feedback. Aber Saskia Esken und Norbert Walter-Borjans haben viel erreicht, obwohl sie nicht den Aktionsspielraum von Regierungsämtern haben. Eskabo, wie ich sie nenne, haben entscheidend am Konjunkturpaket mitgewirkt. Sie haben dafür gesorgt, dass beispielsweise kein Steuergeld in die Förderung von Verbrennungsmotoren fließt, als es um Kaufprämien ging. Allerdings spielt sich derzeit sehr viel auf der Regierungsebene ab. Zum Teil kommt hier auch eine gesellschaftliche Debatte um die Corona-Maßnahmen zu kurz.

Es ist Jahre her, dass die SPD in den Umfragen mal bei etwa 20 Prozent lag, derzeit sind es nur rund 15. Was macht die Spitze falsch?

Rosenthal Dafür sind nicht nur einzelne Personen wie die Parteiführung verantwortlich. Ich sehe den Hauptgrund für die schlechten Zustimmungswerte in der großen Koalition. Die SPD ist Motor des Bündnisses und hat alle wesentlichen Projekte wie die Grundrente, die Frauenquote oder das Kurzarbeitergeld eingebracht, der Erfolg wird aber der Union und insbesondere der Kanzlerin zugeschrieben. Das wurmt mich.

Werden die Jusos wieder eine No-Groko-Kampagne fahren?

Rosenthal Wir Jusos bleiben entschiedene Gegner der großen Koalition und werden alles dafür tun, dass die SPD sich kein weiteres Mal in ein solches Bündnis treiben lässt. Dieser Wahlkampf muss deutlich machen, dass die Union keine Antworten für die Zukunft hat und in die Opposition gehört. Der Wahlkampf selbst beweist dann, dass es keine Neuauflage der Groko geben wird. Reine Versprechungen würden die Menschen nach den Erfahrungen der letzten Jahre ohnehin kaum glauben.

Ist die SPD bei so schlechten Umfragen und Wahlergebnissen überhaupt noch eine Volkspartei?

Rosenthal Der SPD täte es gut, diesen Begriff nicht wie eine Monstranz vor sich herzutragen. Ich kann auch ohne das Etikett Volkspartei leben. Wichtig ist doch aber der inhaltliche Anspruch, mit unseren Positionen auch künftig Politik für die Breite der Gesellschaft zu machen, die endlich mehr Gerechtigkeit verdient hat und vom Fortschritt profitieren soll.

Sollten die Grünen Annalena Baerbock aufstellen, dürfte sie die einzige Frau im Bewerberfeld um das Kanzleramt sein. Wäre das ein Vorteil an sich?

Rosenthal Ich glaube schon, dass die Menschen sehr stark auf die Kanzlerkandidaten oder eine Kandidatin schauen. Und natürlich wünsche ich mir auch in der SPD noch mehr starke Frauen in Spitzenpositionen. Olaf Scholz bleibt aber von allen möglichen Bewerberinnen und Bewerbern anderer Parteien der richtige Nachfolger von Angela Merkel, weil er als Einziger genug Erfahrung und Rüstzeug mitbringt, das Land aus dieser Krise zu führen.

Aber die Jusos haben sich immer an Olaf Scholz gerieben, es gab offene Ablehnung, scharfe Kritik. Sie machen sich doch völlig unglaubwürdig, wenn Sie für ihn im Wahlkampf plakatieren gehen.

Rosenthal Wir bleiben als Jusos klar bei unseren inhaltlichen Positionen, über die wir mit einigen in der Partei – auch Olaf Scholz – natürlich auch gestritten haben. Aber die SPD hat sich in unsere Richtung verändert. Wir sind heute eine gerade inhaltlich besser aufgestellte Partei. Auch Olaf Scholz nimmt diese Veränderung wahr und handelt danach. Das beweist auch sein Corona-Krisenmanagement. Ich bin beispielsweise zuversichtlich, dass auch er sich für ein Aussetzen der Schuldenbremse aussprechen wird. Dieses Instrument braucht es nicht mehr, stattdessen viel mehr Investitionen in die Zukunft. Für diese Positionen mache ich sehr gerne Wahlkampf, weil sie insbesondere für junge Menschen entscheidend sind.

Was soll Ihr Vorgänger Kevin Kühnert im Bundestag bewegen?

Rosenthal Wenn Kevin an der Seite vieler anderer Jusos in den Bundestag einzieht, dürfen wir uns auf sehr gute Reden freuen. Er wird die Debattenkultur vorantreiben, sich für die SPD-Positionen stark machen und Menschen für unsere Partei begeistern. Nichts könnte der politischen Kultur besser tun als Kevin Kühnert im Bundestag.

Und dann wird er irgendwann SPD-Kanzlerkandidat?

Rosenthal Alles vorstellbar, irgendwann.

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