Interview mit Jürgen Trittin „Wir verfügen heute über einen beachtlichen gesellschaftlichen Einfluss“

Berlin · Er war Umweltminister in der rot-grünen Bundesregierung 1998 bis 2005, führte das Dosenpfand ein, organisierte den Atomausstieg und war ein Intimfeind von Joschka Fischer. Heute blickt Jürgen Trittin entspannt zurück.

 Jürgen Trittin als Bundesumweltminister im Jahr 2004.

Jürgen Trittin als Bundesumweltminister im Jahr 2004.

Foto: Gabriel Werner/Gabriel, Werner

An diesem Freitag feiern die Grünen ihr 40-jähriges Bestehen. Auf ihrer Jubiläumsfeier in Berlin spricht neben anderen Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier.

Herr Trittin, was unterscheidet die Grünen heute von der Gründergeneration vor 40 Jahren?

Trittin Die damaligen Grünen wollten im Parlament Stimme der außerparlamentarischen Bewegung sein. Über die 40 Jahre haben sie gelernt, dass das nicht reicht. Die heutigen Grünen sind eine Partei, die diese Gesellschaft durch Regierungsbeteiligungen verändert. Inzwischen gibt es mehr Landesregierungen mit als ohne Grüne.

Die Gründergeneration war noch vom Pazifismus durchdrungen, mittlerweile stimmen die Grünen aber auch Auslandseinsätzen der Bundeswehr zu. Wie friedliebend sind die Grünen heute noch?

Trittin Die Grundsätze damals lauteten ökologisch, basisdemokratisch, sozial und gewaltfrei. Im Kern gelten diese Werte für uns noch immer. Die Grünen waren auch unter dem Begriff der Gewaltfreiheit ja nie eine pazifistische Partei, sondern sie waren eine nuklear-pazifistische Partei. Das heißt, sie haben die atomare Aufrüstung und die gegenseitige Bedrohung mit Selbstmord abgelehnt. Das gilt auch heute mehr denn je. Gleichzeitig gab es viele Grüne, die große Sympathie hatten für den Befreiungskampf des ANC in Südafrika oder die Befreiungsbewegung in El Salvador. Das waren alles keine Pazifisten, die da unterwegs waren.

Sie haben sich immer stark für Umverteilung von Reich zu Arm eingesetzt. Ist das bei den Grünen heute in den Hintergrund geraten?

Trittin Das zentrale Thema der Grünen war und ist die Ökologie. Das war für uns nie ein naturwissenschaftlicher Begriff, sondern ein politischer. Ökologie heißt globale und generationenübergreifende Gerechtigkeit. Jeder Mensch auf diesem Planeten soll die gleichen Lebenschancen, die gleiche Chance auf Teilhabe haben. Insofern ist die Frage der sozialen Gerechtigkeit fest im Ökologie-Begriff verankert. Dass wir in einer Welt leben, die zunehmend ungleicher wird, in der eine Busladung von Milliardären so viel besitzt wie die untere Hälfte der Weltbevölkerung, hält die Welt dauerhaft in einem Krisenmodus. Diesen Zustand wollen wir ändern. Da bleiben wir hartnäckig.

Früher gab es scharfe Flügelkämpfe und persönliche Anfeindungen bei den Grünen. Warum ist es nicht gelungen, geschlossener aufzutreten?

Trittin Es hat in der Geschichte der Grünen verschiedene Richtungsstreite und ernste Auseinandersetzungen gegeben. Die wichtigste war 1991 der Parteitag in Neumünster. Dort hat ein Bündnis von Reformern und Regierungslinken gemeinsam die Fundis in die Defensive und faktisch aus der Partei herausgedrängt. Es gab 1999 eine zweite große Auseinandersetzung darüber, ob ein Nicht-Handeln im Kosovo-Krieg gerechtfertigt wäre oder nicht. Wir haben uns für das Handeln entschieden. Das hat die Partei fast zerrissen, aber auch diese Debatte haben wir durchgestanden. Und am Ende hat sie uns gestärkt.

So erfolgreich wie heute waren die Grünen noch nie, jedenfalls zeigen das die anhaltend hohen Umfragewerte. Woran liegt das?

Trittin Von Umfragen kann man sich nichts kaufen. Das bisher beste Bundestagswahlergebnis stammt aus dem Jahr 2009, als wir mit Renate Künast und mir als Spitzenkandidaten erstmalig zweistellig wurden. Danach haben wir trotz noch besserer Umfragen immer wieder schlechter abgeschnitten. Wir sind natürlich vorsichtig optimistisch, dass das beim nächsten Mal besser wird. Hätten Sie jemals gedacht, dass es einmal mehr grüne Landwirtschaftsminister als schwarze geben würde? Das ist heute so. Insofern verfügen wir über einen beachtlichen gesellschaftlichen Einfluss, der uns immerhin so stark macht, dass wir zum Beispiel beim Klimapaket eine faul und richtungslos gewordene große Koalition zwingen konnten, Schritte zu gehen, die sie nicht gehen wollte.

Können Sie sich heute einen grünen Kanzler vorstellen?

Trittin Die Grünen müssen sich nicht verstecken. Wir sind heute programmatisch und personell so aufgestellt, dass wir uns vor keinem Ressort fürchten müssen. Selbstverständlich – sollten wir jemals in die Situation kommen, stärkste Partei zu werden – werden wir auch in der Lage sein, eine Kanzlerin oder einen Kanzler zu stellen.

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