Interview mit Jürgen Trittin Wenn Rot-Rot-Grün eine Mehrheit hat, wird verhandelt

Berlin · Der ehemalige Grünen-Fraktionschef Jürgen Trittin spricht im Interview mit unserer Redaktion über die Chancen für eine Linkskoalition im Bund und den Wahlkampf seiner Partei.

 "Wir werden ein klares Profil zeigen in der Klima- und Industriepolitik": Jürgen Trittin.

"Wir werden ein klares Profil zeigen in der Klima- und Industriepolitik": Jürgen Trittin.

Foto: H.-J. Bauer

Nach dem Linken-Parteitag sagen viele SPD- und Grünen-Politiker, die Linken seien nicht regierungsfähig. Wie sehen Sie das?

Trittin Bei vielen in der Linkspartei überwiegt die Erleichterung, dass sie angesichts der Wahlniederlagen in den letzten beiden Landtagswahlen nicht regieren müssen. Darauf hoffen sie auch im Bund. Wenn es aber eine rechnerische Mehrheit für Rot-Rot-Grün auf Bundesebene gäbe, dann wird sich die Linke nicht dem Druck entziehen können, darüber ernsthaft zu verhandeln. Aber momentan stellt sich die Frage eher nicht.

Halten Sie die Linke nun für regierungsfähig?

Trittin Das kann man erst nach Abschluss von Verhandlungen beurteilen - unter Echtzeitbedingungen.

In Schleswig-Holstein bahnt sich ein Jamaika-Bündnis aus CDU, Grünen und FDP an. Ein Signal für den Bund?

Trittin Das ist zuerst einmal das Signal, dass man nach dem Willen der Wähler ernsthaft und seriös verhandeln muss. Die Grünen in Schleswig-Holstein haben von Anfang an gesagt: Wir wollen eine solide Finanzpolitik, wir wollen bei der Energiewende vorankommen, und wir schauen, mit wem wir das realisieren können, wenn es mit der SPD nicht reicht.

Wie erklären Sie sich die seit Monaten anhaltenden schwachen Umfragewerte der Grünen?

Trittin Mich regen Umfragen nicht auf. Was ich sehe ist, dass wir unter den gleichen bundespolitischen Bedingungen bei Wahlen in Schleswig-Holstein bei zwölf Prozent gelandet und in NRW von elf auf 6,5 Prozent runtergefallen sind. Das ist die Marge, in dem wir uns bewegen. Ziel ist, dass wir deutlich zweistellig und dritte Kraft werden und dieses Wahlziel können wir erreichen.

Ihre Umfragewerte sind aber ein Langzeittrend . . .

Trittin Wir werden ein klares Profil zeigen in der Klima- und Industriepolitik. Wir setzen auf eine Absicherung der Zukunftschancen der Menschen durch die Einführung einer Garantierente und einer Bürgerversicherung. Wir investieren mehr in Familien.

Brauchen Sie nicht mehr als die Wahlkampf-Klassiker?

Trittin Ich bin optimistisch, was das Interesse für Grünen-Themen betrifft. Es gibt die blonde Gefahr im Weißen Haus. Trump treibt sehr viele Leute um. Wie geht's weiter mit Klimaschutz? Droht im Nahen Osten ein neuer Krieg, weil der amerikanische Präsident die Saudis mit milliardenschweren Waffendeals aufrüstet? Stärken wir Europa oder steigen wir ein in ein neues Wettrüsten? Darauf gibt es klare grüne Antworten - und die CDU will das Gegenteil.

Union und SPD sehen als Antwort auf Trump ein eigenständigeres Europa...

Trittin Eine Politik, die Europa durch Austerität spaltet in einen reichen Norden und einen armen Süden, wird dieses gemeinsame Europa nicht zusammenhalten. Wenn wir künftig doppelt so viel Geld für Rüstung ausgeben wie bisher anstatt in die Überwindung der Arbeitslosigkeit zu investieren, wird das nicht helfen. Im Gegenteil.

Merkel wird vom linksliberalen Amerika als "Anführerin der freien Welt" gesehen. Wie finden Sie das?

Trittin Dass Deutschland wegen des Führungsversagens der Vereinigten Staaten als eine verlässliche Kraft gesehen wird, da gibt es ja eine Kontinuität. Ein Teil dieses Ansehens ist aufgebaut worden, als - damals noch gegen Frau Merkel - die rot-grüne Bundesregierung gegen Bushs Krieg im Irak eine Mehrheit im Sicherheitsrat organisiert hat. Ein Krieg, der dann den ganzen Nahen Osten massiv destabilisiert hat.

Welches Signal erwarten Sie vom G20-Gipfel?

Trittin Man kann sich nicht damit abfinden, dass man, nur weil es einen Klima-Verweigerer gibt, nichts beim Klimaschutz macht. Außer den USA stehen alle anderen Länder zum Pariser Abkommen und wollen auch einen regelbasierten Welthandel. Wir müssen diese Themen hochhalten, auch wenn es keine Einigung gibt. Es wird kein Weg daran vorbeiführen, dass die Regulierung des internationalen Finanzsystems weitergeht und es muss eine Einigung auf mehr öffentliche Investitionen in Infrastruktur geben.

Hamburg erwartet zum G20-Gipfel erhebliche Proteste. Haben Sie Verständnis für die Leute, die auf die Straße gehen?

Trittin Ich habe natürlich Verständnis, wenn Leute ihrem Protest gegen die Ansammlung zahlreicher Autokraten wie Erdogan und Putin oder gegen Trump Ausdruck verleihen. Es gibt für die Zivilgesellschaft viel Anlass, gegen deren Politik zu demonstrieren und gleichzeitig die Verantwortung der G20 für Weltwirtschaft und Klima einzuklagen.

Proteste können inhaltlich aber nur durchdringen, wenn sie nicht von gewaltsamen Auseinandersetzungen überschattet werden...

Trittin Ja. Das Demonstrationsrecht ist das Recht, sich friedlich und ohne Waffen zu versammeln und seine Meinung zum Ausdruck zu bringen. Am wirkungsvollsten ist das, wenn sehr viele Leute kommen und nicht, wenn wenige kommen, die Krawall machen. Im Übrigen bleibt es auch meistens am Friedlichsten, wenn viele Leute kommen.

Mit Jürgen Trittin sprach Eva Quadbeck.

(qua)
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