Großbritannien hat gewählt Boris Johnsons Sieg besiegelt die Spaltung

London · Die Briten wollen den Brexit und von einem Populisten regiert werden. Kein Untergang für die EU. Aber eine Warnung.

 Boris Johnson in der Downing Street.

Boris Johnson in der Downing Street.

Foto: AP/Frank Augstein

Wenn ein Politiker bei einer demokratischen Wahl die absolute Mehrheit für seine Partei holt, kann man ihm nur gratulieren. Boris Johnson hat den Nerv der Briten getroffen. „Chapeau“, sagt Kanzlerin Angela Merkel. Sie nennt das professionelle Anerkennung. Es fällt nur schwerer, dem Land zu einem Populisten zu gratulieren, einem politischen Haudrauf, einem – man darf es so hart sagen -  Lügner.

Johnson hat den Bürgern früh mit falschen Angaben über die Zahlungen Londons an Brüssel Angst gemacht und sich rigoros parteiinterner Kritiker entledigt. Nun besiegelt das klare Votum für seine konservativen Tories den schnellen Ausstieg des Landes aus der Europäischen Union. Die Abspaltung ist da. Und befördert eine neue Spaltung.

Schottland will bereits nächste Woche den Prozess für ein neues Unabhängigkeitsreferendum einleiten. Denn die Schotten votierten mit großer Mehrheit gegen die Tories und für die proeuropäisch ausgerichtete Nationalpartei von Regierungschefin Nicola Sturgeon. Ferner weist diese Wahlanalyse auf die Zerrissenheit im Vereinigten Königreich hin:  Die meisten jungen Leute wollen den Brexit nicht, aber die demografische Entwicklung mit dem hohen Anteil der älteren Bürger - und Wähler - durchkreuzt ihre Vorstellung von Grenzenlosigkeit. Für sie, die sich in Europa so Zuhause fühlen wie in Brighton oder Bristol, wird es künftig viel schwerer, woanders zu arbeiten und zu leben.

Johnsons Wähler interessiert all das nicht. Sie sehen in dem Premierminister den Mann, der Großbritannien wieder eigenständig macht - und groß. Great again wie Amerika unter Präsident Donald Trump. Der twitterte am Freitag sogleich, die Briten seien nun frei für einen „Deal“ mit den USA, der natürlich „viel größer und lukrativer“ sein werde als alle Abkommen, die je mit der EU geschlossen werden könnten. Das ist auch die Sprache Boris Johnsons, der über seinen Besuch im Oktober bei seiner Kontrahentin Merkel gesagt hatte: „So etwas Großartiges habe ich, glaube ich, überhaupt noch nicht erlebt in meinem Leben, das ist ein wunderbare Sache, dass ich in Berlin sein kann.“

Politik in Superlativen, auch wenn leicht durchschaubar ist, dass das gar nichts zu sagen hat. Das Meinungsforschungsinstitut Yougov ermittelte, dass 55 Prozent der Wähler Johnson nicht für vertrauenswürdig halten. Aber die Werte seines Herausforderers, der bisherige Labour-Chef Jeremy Corbyn mit einer Wischiwaschi-Brexit-Position und einem ansonsten linksgerichteten Kurs, waren noch schlechter: 60 Prozent. Das ist der eigentliche Jammer: Es gab in Großbritannien kein vertrauenserweckendes Gegengewicht zu Brexit-Boris, der lieber „tot im Graben“ liegen wollte als die Brexit-Frist über den 31. Oktober hinaus zu verlängern. Er hat diese Frist zwar gerissen, geht aber quicklebendig aus der Wahl in Großbritannien hervor.

Die EU sollte den Brexit nun zum 31. Januar so hart vollziehen wie Johnson es will: Ohne Wenn und Aber und Vielleicht. Und es sollte auch kein langes Theater über ein Freihandelsabkommen  geben. Die geplanten elf Monate sind illusorisch kurz, müssen aber reichen. Ob die 27 Mitgliedstaaten zusammenhalten oder die Union durch zunehmenden Nationalismus zerbröseln wird, hängt  jetzt maßgeblich davon ab, wie die Regierungschefs den Bürgern Ängste vor der Globalisierung nehmen und ihnen den unschätzbaren Werte eines geeinten Europa ans Herz legen können: Frieden und Freiheit.

(kd)
Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort