Gastbeitrag von Matthias Platzeck "Joachim Gauck ist unerschrocken"

Berlin (RP). In einem Gastbeitrag für unsere Redaktion würdigt Brandenburgs Ministerpräsident Matthias Platzeck (SPD) den rot-grünen Kandidaten für das Bundespräsidentenamt, Joachim Gauck, als unerschrockenen Kämpfer für die Freiheit. Die ehemaligen DDR-Bürgerrechtler kennen sich aus den "revolutionären" Tagen vor dem Fall der Mauer. Mit Gauck als Bundespräsident, "wachse zusammen, was zusammengehört", findet Platzeck.

Joachim Gauck – Bundespräsident und Bundesbeauftragter für Stasi-Akten
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Das ist Joachim Gauck

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Foto: ddp

Ich kenne Joachim Gauck seit zwei Jahrzehnten. Mit ihm gemeinsam gehörte ich von März bis Oktober 1990 in der einzigen frei gewählten Volkskammer der DDR der kleinen Fraktion aus Bündnis 90 und Grüner Partei an. Damals erlebten wir hautnah mit, wie "unsere" Revolution vom Herbst 1989 innerhalb weniger Monate zur bloßen Ouvertüre der Vereinigung beider deutscher Staaten verblasste.

Die Herbstrevolutionäre hatten die DDR in ein freies und zukunftsfähiges Land verwandeln wollen. Es war anders gekommen, aber auch damit konnten wir beide gut leben. Wir hatten zwar nicht von vornherein die Vereinigung angestrebt, sondern Freiheit und Demokratie. Aber auch gut - nun würde unser freies und demokratisches Land eben die Bundesrepublik sein. Hauptsache frei.

Irgendwann im August 1990 waren alle Abstimmungen gelaufen und alle Verträge geschlossen. Die DDR stand vor ihrer Auflösung, und wir Abgeordneten vom Bündnis 90 machten uns Gedanken darüber, wohin unsere eigene Reise gehen könnte. An einem dieser Spätsommertage saß ich mit Joachim Gauck zusammen. Unvermittelt sagte er: "Du, ich kenne dich jetzt ein halbes Jahr, warum gehst du eigentlich nicht zu den Sozialdemokraten? Bist doch einer." Wie er das meine, wollte ich wissen. "Na ja", erwiderte Gauck, "so von der Art und Weise wie du agierst, wie du redest, wie du denkst, bist du doch eigentlich ein Sozialdemokrat."

Ich weiß nicht mehr genau, was ich ihm antwortete. Auf jeden Fall hatte Joachim Gauck etwas erkannt, was mir selbst damals noch gar nicht richtig klar war. Bis zu meinem Eintritt in die SPD sollte es noch fünf Jahre dauern - aber er behielt Recht. Und heute macht es mich richtig froh, dass ausgerechnet Joachim Gauck der Kandidat meiner Partei für das höchste Amt unserer Republik ist. Damit war ja nicht unbedingt zu rechnen.

Lebensklug und optimistisch

Joachim Gauck ist genau der lebenskluge und optimistische, grundfröhliche und freiheitlich gesinnte Kopf, den wir in den schwierigen Jahren, die vor uns liegen, so dringend im Präsidialamt unserer Republik brauchen werden. In unübersichtlichen Zeiten ist es gut, wenn Menschen an der Spitze stehen, die Souveränität ausstrahlen, durch und durch unerschrocken sind und Orientierung geben. Für uns Deutsche könnte Joachim Gauck solch ein Leuchtturm in rauer See werden.

Die Republik hat einen nachdenklichen Mutmacher wie ihn dringend nötig. Vor allem aber steht Joachim Gauck für ein umfassendes Verständnis von Freiheit, das in unserem Land dringend der Renaissance bedarf. Wirkliche Freiheit bedeutet eben nicht, dass jeder tut oder lässt, was ihm gerade einfällt. Regellosigkeit (etwa auf den Märkten) kann die Fundamente der Freiheit untergraben. Darum bedenken wirklich freie Menschen die Voraussetzungen sowohl ihrer eigenen Freiheit als auch der Freiheit anderer Menschen immer mit.

"Links und frei" heißen die Lebenserinnerungen von Willy Brandt. Dieses Wechselverhältnis war und ist mir besonders wichtig. Auch deshalb bin ich am Ende in die SPD eingetreten. "Die Freiheit der Erwachsenen heißt Verantwortung", betont wiederum Joachim Gauck bei jeder Gelegenheit - und dieses Wechselverhältnis halte ich für ebenso entscheidend.

Freiheit, Verantwortung und soziale Demokratie: In Joachim Gaucks Kandidatur für das Präsidentenamt unserer Republik wächst zusammen, was immer zusammengehört - oder jedenfalls zusammengehören sollte. Darum unterstütze ich Joachim Gauck aus vollem Herzen. Wir sollten diese Chance für unser Land nicht verstreichen lassen.

Der Autor ist seit 2002 Ministerpräsident von Brandenburg, war 2005 und 2006 SPD-Vorsitzender und war vor der Wende Mitbegründer der Grünen in der DDR.

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