Bundespräsident auf Staatsbesuch Joachim Gauck — Israels kritischer Freund

Jerusalem · Der Bundespräsident hinterlässt bei seinem ersten Staatsbesuch in Israel seine eigene Handschrift. Der Empfang durch Präsident Schimon Peres und der Besuch der Holocaust-Gedenkstätte Yad Vashem haben den ersten Tag der Israel-Reise von Joachim Gauck bestimmt.

Joachim Gauck zu Gast in Israel
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Als Joachim Gauck aus dem Mahnmal für die ermordeten Kinder heraustritt, holt er ein gefaltetes Blatt Papier hervor. Gut zu sehen ist darauf ein mit grüner Tinte handgeschriebener Text. Gewissenhaft und minutenlang überträgt der Bundespräsident seinen Text in das Gästebuch der Gedenkstätte Yad Vashem für die Opfer des Holocaust in Jerusalem.

"Wenn du hier gewesen bist, sollst du wiederkommen", schreibt Gauck. "Und wiederkommen sollst du, weil auch du wissen kannst: Namen der Opfer — wie viele kennst du? Namen der Täter — deutsche zumeist — Verursacher, Vollstrecker, auch Namen von Schreckensorten wirst du dir einprägen und wirst erschrecken vor dem brutalen Interesse von Herrenmenschen."

Was Gauck niederschreibt im Gästebuch dieser für Staatsgäste, zumal deutsche, wichtigsten Gedenkstätte in Israel, ist nicht das, was ihm die Diplomaten des Bundespräsidialamts für diesen Höhepunkt seines Israel-Besuchs aufgeschrieben hatten. Gauck hat seine Eintragung kurzfristig geändert, niemand kannte diesen Text zuvor — das Vorbereitete war ihm nicht persönlich und eindringlich genug.

Nicht nur in Yad Vashem, überhaupt geht es Joachim Gauck bei diesem ersten offiziellen Staatsbesuch als Bundespräsident um die eigene Handschrift. Gauck ist nicht Wulff, nicht Köhler oder Rau. Gauck hat eine eigene, besondere Biografie, er war DDR-Bürger, Pastor, Bürgerrechtler. Was ihn geprägt hat, das empathische Einstehen für Freiheit und Demokratie, leitet ihn auch als Bundespräsident, auch hier in Israel. Die Israelis wissen um diese Besonderheit. Für sie ist Gauck nicht irgendein Bundespräsident, sondern Hoffnungsträger. Gauck habe sich "als Mensch ein ganzes Leben für den Frieden" eingesetzt, begrüßt Israels Staatspräsident Schimon Peres das deutsche Staatsoberhaupt fast schwärmerisch. Gauck stehe als Person für ein "europäisches Deutschland, nicht für ein deutsches Europa".

In Yad Vashem, wo er in der "Halle der Erinnerung" einen Kranz niederlegt, ist Gauck tief berührt. Beim Gang durch die Gedenkstätte lässt er sich mit Daniela Schadt, seiner Lebensgefährtin, die Schicksale ermordeter Juden bis ins Detail schildern. Tausende Tagebucheintragungen, Notizen, Fotos und Filme zeugen hier von der Shoa, der Ermordung von sechs Millionen Juden durch Deutsche.

Später wird Gauck neben Schimon Peres auch durch das Archiv von Yad Vashem gehen, eine Ehre, die noch keinem deutschen Staatsgast zuteil geworden ist. "In Warschau gibt es den wunderbaren Bestand noch nicht veröffentlichter Briefe von jüdischen Kindern", berichtet Gauck. Der von ihm gegründete Verein "Gegen Vergessen — für Demokratie" habe die Briefe herausgegeben. Der Leiter der Gedenkstätte, Avner Shalev, ist begeistert und überrascht. Diese Briefe würden Yad Vashem bereichern, man brauche sie, sagt Shalev — der Bundespräsident sichert ihm sofort Unterstützung zu. "Joachim Gauck ist jemand, der Gefühle zeigen und transportieren kann", sagt Dieter Graumann, der Vorsitzende des Zentralrats der Juden in Deutschland. "Das ist seine ganz große Stärke, die ihn vielleicht von seinen Vorgängern unterscheidet."

Gleich nach der Ankunft in Jerusalem sind sie zusammen zum Grab von Ignatz Bubis gefahren, dem früheren Vorsitzenden des Zentralrats. Dort habe der Bundespräsident seine Hand gehalten, sagt Graumann tief ergriffen. Aber der Polit-Neuling Gauck muss sich auch aktuellen politischen Fragen stellen: Wissen will Israels Öffentlichkeit vor allem, ob Deutschland weiter fest an der Seite Israels steht, das sich zunehmender Bedrohung durch den Iran, aber auch wachsender internationaler Kritik wegen seiner kompromisslosen Haltung im Nahost-Konflikt ausgesetzt sieht.

Das Eintreten für Israel bleibe "für die deutsche Politik bestimmend", versichert Gauck. Doch was wäre, wenn der Konflikt mit Iran tatsächlich in einen Krieg mündete? "Ich will mir das Szenario nicht ausdenken, welches die Bundeskanzlerin in enorme Schwierigkeiten brächte, diese Staatsräson politisch umzusetzen", räumt Gauck ehrlich ein. Deutschland tue sich "ausgesprochen schwer mit militärischen Aktionen". Vor seiner Reise habe er sich überzeugt, dass ein "Präventivschlag" Israels gegen den Iran nicht bevorstehe.

Gauck kann es sich mit seiner Reputation leisten, auch in Israel Klartext zu reden. Deutschland trete mit Nachdruck für die Zwei-Staaten-Lösung zwischen Israel und den palästinensischen Gebieten ein. Es müsse eine Lösung geben, die "auch den Belangen des palästinensischen Volkes Rechnung trägt", sagt Gauck direkt an die Adresse des israelischen Präsidenten. Morgen, am letzten Tag seiner viertägigen Reise, wird Gauck auch in die palästinensischen Gebiete reisen, um ein positives Zeichen für die arabische Seite zu setzen. "Freundschaft ist Freundschaft", versicherte Gauck der israelischen Regierung. "Aber nicht totale Übereinstimmung."

(sap)
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