Joachim Gauck Bitte noch mal, Herr Präsident!

Meinung | Berlin · Ja, es gibt sie, die Joachim Gauck nicht für ihren Präsidenten halten. Everybody's darling ist leicht auch everybody's Depp. Gauck ist das Gegenteil: Der Richtige für eine zweite Amtszeit.

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Foto: dpa/Wolfgang Kumm

Der unterlegene Joachim Gauck war schon der "Präsident der Herzen", als die Schwarz-Gelben mit Ach und Krach ihren Favoriten Christian Wulff ins Amt brachten. Als sich dann nach Wulffs Straucheln die Blicke erneut auf ihn richteten, entdeckten CDU und CSU und SPD und FDP und Grüne, dass dieser Mann als erneuter Kandidat geradezu alternativlos ist. Im Amt blieb er sich treu, zeigte die Ecken und Kanten, vor denen er vorher gewarnt hatte.

Da entzündete sich die Kritik an seinen privaten Lebensverhältnissen: Für manche war es zu kompliziert, dass er mit seiner Jugendliebe und Mutter seiner Kinder, Gerhild Gauck, verheiratet blieb, sich an seine zwischenzeitliche Freundin Helga Hirsch als Beraterin band und seine Partnerin Daniela Schadt in die Rolle der First Lady führte. Dass Gauck die von einzelnen Bürgern geradezu missionarisch verfolgten Feldzüge der Kritik an seinen Lebensverhältnissen aushielt, spricht dafür, dass er sich auch in anderen Grundüberzeugungen nicht aus der Fassung bringen lässt.

Er beherrscht die Macht des Wortes

Verrenkungen und Verbiegungen zur besseren Gefälligkeit erlebt das Publikum in der Politik oft genug. Gauck zeigt, dass gebrochene Lebensläufe nicht zum Versteckspiel werden müssen. Lieber ehrlich und ungewohnt als geschmeidig und unehrlich. Und so lange alle Beteiligten erkennbar nicht darunter leiden, sondern dazu stehen, ist das keine Angelegenheit fürs öffentliche moralische Stabbrechen.

Vor allem: Gauck beweist täglich, welche Möglichkeiten die Verfassung dem Bundespräsidenten lässt. Formal vor allem auf die Rolle des Stabilisators in politischen Krisenzeiten beschränkt, erwartet sie von ihm in erster Linie die Wirkmacht des Wortes.

Wie sich die Fundamente von Freiheit und Demokratie mit aktuellen Herausforderungen verbinden lassen, brachte Gauck bereits vor seiner Vereidigung auf den Punkt. Er füllte selbst als Privatier Säle und bewirkte Faszination. Erst Recht gelingt ihm das mit immer wieder neuen Nuancen in zahlreichen Reden im Amt. Wer Gauck in dieser Hinsicht in Frage stellen will, sollte seine Reden zu wichtigen Anlässen nachlesen. Es gibt kaum eine ohne bedenkenswerte Botschaften.

Natürlich ist er seinem Amt entsprechend zur Zurückhaltung verpflichtet. Einen parteiischen Präsidenten verträgt das Land nicht, erst Recht nicht, wenn durch ungewohnten Problemdruck der Zusammenhalt gefährdet ist. Das erklärt, warum er sich beißende Kritik oft versagt. Doch wenn die Gefahr sichtbar wird, dass die Konturen der freiheitlichen Demokratie in einem "Dunkeldeutschland" verschwinden könnten, dann knipst Gauck auch sprachlich eindeutig das Licht an, lässt sich von Rechtsextremisten auch mal beim Verfassungsgericht verklagen — und stärkt dadurch letztlich die Rolle des Bundespräsidenten im nationalen Diskurs.

Nach der Flucht Horst Köhlers, dem Scheitern Christian Wulffs hat Joachim Gauck dem höchsten Staatsamt nicht nur Würde zurückgegeben, sondern Leben. Er wirkt auch in der aktuellen Flüchtlingsdynamik in die Gesellschaft hinein, indem er klar das Eintreten für Verfolgte verlangt und gleichzeitig die Grenzen deutscher Leistungsfähigkeit anmahnt — und zwar völlig unabhängig davon, welchem Aspekt nun das jeweilige Publikum gerade zuneigt.

Sollte sich Joachim Gauck entschließen, das im März nächsten Jahres enden zu lassen, wird seine Präsidentschaft ohne Zweifel zu den erfolgreichen zu zählen sein. Es wäre freilich besser für Deutschland, diese würde länger als fünf Jahre währen. Gerade jetzt.

(may-)
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