Unions-Fraktionsvize Jens Spahn „Es gibt millionenfach zumutbare Arbeit“

Interview | Berlin · Wer arbeiten kann, sollte auch arbeiten, fordert Jens Spahn, Wirtschaftsexperte und Fraktionsvize der CDU/CSU-Bundestagsfraktion. Zugleich warnt der ehemalige Gesundheitsminister vor dem nächsten Winter – dann drohten wieder höhere Energiepreise.

Unions-Fraktionsvize Jens Spahn (CDU) ist nun zuständig für Wirtschaftsthemen. Er warnt, dass der nächste Winter schwieriger wird.

Unions-Fraktionsvize Jens Spahn (CDU) ist nun zuständig für Wirtschaftsthemen. Er warnt, dass der nächste Winter schwieriger wird.

Foto: dpa/Bernd von Jutrczenka

Herr Spahn, wie hat sich ein Jahr Ukraine-Krieg auf die Rolle der Opposition ausgewirkt?

Spahn Wir wollen, dass es Deutschland und Europa gutgeht. Deswegen unterstützen wir auch Entscheidungen, die nicht nur populär sind, etwa Waffenlieferungen an die Ukraine. Zugleich muss auch in Krisenzeiten eine Regierung Kritik ertragen. Diese Balance haben wir hinbekommen. Sie war aber herausfordernd.

Wo muss die Union besser werden? Das erklärte Ziel ist ja 30 plus X.

Spahn Nach der bitteren und unnötigen Wahlniederlage bei der Bundestagswahl streiten wir nicht mehr über die Frage, wer uns führt. Das ist geklärt. Partei- und Fraktionsvorsitz liegen in einer Hand. Friedrich Merz belebt die Debatten im Bundestag. Das tut gut. CDU und CSU arbeiten wieder eng zusammen. Wir haben Relevanz bewiesen im Bundesrat. Etwa beim Thema Bürgergeld. Jeder dieser einzelnen Punkte hätte auch anders laufen können.

Das ist aber der Befund.

Spahn Und es ist nach einem Jahr ein guter Befund. Wo wir besser werden müssen, ist bei der Kompetenz-Frage: Wem trauen die Menschen zu, die richtigen Ideen und Lösungen für dieses Land zu haben? Da waren wir mal in den Umfragen deutlich stärker. Daran werden wir konzeptionell weiterarbeiten. Wir brauchen Ideen, die über das Oppositionelle hinausgehen. Das ist die Aufgabe für die nächsten zwei Jahre.

Schwingt da Kritik am Partei- und Fraktionsvorsitzenden Merz mit?

Spahn Ausdrücklich nein. Friedrich Merz sieht es genauso.

Manche Äußerung von Merz in der Migrationspolitik trübt aber das von ihnen gezeichnete Bild der Union.

Spahn Mein Eindruck ist, dass das Aussprechen von dem, was eine große Mehrheit der Bürgerinnen und Bürger an Problemen sieht, Unterstützung bringt. Und wir haben ein Problem mit einer kulturell vermittelten toxischen Männlichkeit schon bei Kindern und Jugendlichen. Sagen, was ist: Das gute Wahlergebnis in Berlin hat auch damit zu tun.

Reicht der CDU das als migrationspolitischer Ansatz?

Spahn Was wir klarer machen müssen ist, dass jeder, der mit anpackt und unsere Werte teilt, dazugehört. Egal, ob er seit einem, zehn oder 50 Jahren in Deutschland ist. Ohne Wenn und Aber. Wir stehen an der Seite dieser Bürger. Viele, die sich hier etwas aufgebaut haben, sind ja selbst verärgert über die, die sich nicht integrieren wollen.

Was will die Union denn beim Thema Einwanderung, gerade von Fachkräften?

Spahn Wir müssen zum einen darüber reden, wie wir das Erwerbspotenzial in Deutschland heben. Wir brauchen weniger Frühverrentungen. Beim Wechsel von Teilzeit in Vollzeit gibt es zu viele Hindernisse. Und: Es gibt millionenfach zumutbare Arbeit in Deutschland auf jeder Qualifikationsstufe, auch für Ungelernte. Deswegen muss das Fordern verstärkt werden. Wer arbeiten kann, sollte auch arbeiten. Danach müssen wir die soziale Unterstützung ausrichten.

Das heißt, es braucht nicht mehr Einwanderung?

Spahn Selbstverständlich benötigen wir Arbeitsmigration. Viele Probleme beim Zuwanderungsrecht sind wir in der großen Koalition bereits angegangen. Fachkräfte machen aber zu oft einen Bogen um Deutschland, weil wir einfach nicht attraktiv genug sind: zu viel Bürokratie und mit die höchsten Steuern und Abgaben unter den Industrienationen. Wer Akzeptanz für Zuwanderung erhalten will, der muss das Thema irreguläre Migration in die sozialen Sicherungssysteme in den Griff bekommen. Wer ausreisepflichtig ist, muss auch ausreisen. Stattdessen werden Abschiebeeinrichtungen geschlossen. Ich sehe nicht ansatzweise, dass die Ampel hier richtig handelt.

Hat die Koalition denn in der Energiepolitik richtig gehandelt? Die Preise sinken wieder, die Krise scheint vorerst vorbei zu sein.

Spahn. Es gibt Entspannung. Das ist gut. Gleichwohl: Vieles hat auch mit dem milden Winter zu tun, wie der Wirtschaftsminister selbst gesagt hat. Ja, die Regierung leistet mit dem zügigen Bau von LNG-Terminals einen Beitrag, weil sie pragmatisch handelt. Der nächste Winter wird aber schwieriger. Denn dann müssen wir ganz ohne russisches Gas auskommen. Es drohen absehbar wieder höhere Energiepreise. Wir haben das Schlimmste noch nicht hinter uns.

Wozu raten Sie?

Spahn. Wir müssen rechtzeitig vorsorgen. Durch langfristigere LNG-Verträge. Alles, was klimaneutral Strom produzieren kann, sollte zudem über den nächsten Winter am Netz bleiben. Warum die Ampel in dieser Lage die Kernkraftwerke nicht zwölf Monate länger laufen lässt, verstehe ich nicht. Beim Gas muss jetzt gelten: Lieber zu viel bestellt, als zu wenig. Lieber haben als brauchen.

(has/jus)
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