CDU-Politiker Jens Spahn - der Quertreiber

Berlin · Mit 35 Jahren gilt Jens Spahn als eines der großen Talente in der Union, wenngleich er auch nicht davor zurückschreckt, die Kanzlerin zu kritisieren. Ein Spaziergang mit ihm und seinem Lebensgefährten über den Weihnachtsmarkt.

 Jens Spahn gilt als Nachwuchstalent in der CDU.

Jens Spahn gilt als Nachwuchstalent in der CDU.

Foto: dpa

Das Thermometer in Berlin zeigt an diesem Mittag frühlingshafte 14 Grad. Der Weihnachtsmarkt am Gendarmenmarkt hat gerade seine Tore geöffnet. Nur noch wenige Stunden bis Heiligabend. Menschen drängen sich vorbei an Glühweinständen, Holzhütten mit Geklöppeltem und Geschnitztem.

Zwei hochgewachsene Personen stehen an einer Bude mit gebrannten Mandeln und flachsen mit der italienischen Verkäuferin. Der eine, Daniel Funke, ist Journalist, berichtet als Leiter des Berliner Hauptstadtbüros der "Bunten" über Stars, Sternchen und Adel. Funke ist schlank, der dunkle Vollbart ist adrett gestutzt. Dieser Mann könnte problemlos Hochglanzwerbung für einen Herrenausstatter machen.

Der andere ist ein Stück größer und etwas stämmiger. Auffallend sind die braunen, kurz geschorenen Locken und das verschmitzte, herausfordernde Grinsen. Während der Mann mit der Italienerin über deren Herkunft fachsimpelt, drehen sich immer wieder Leute nach ihm um. "Ist das nicht?" Ja, er ist es: Jens Spahn, Parlamentarischer Staatssekretär im Finanzministerium, Mitglied im Präsidium der Bundes-CDU und häufiger Gast im Talkshow-Zirkus der Republik. Der aus NRW stammende Politiker gilt mit gerade einmal 35 Jahren als eines der großen Talente in der Union.

Doch für den deutschen Konservativismus untypisch: Spahn und Funke sind seit April 2013 ein Paar, eine gemeinsame Freundin hatte sie bei einer Benefiz-Gala aufeinander aufmerksam gemacht. Seit vergangenem Herbst wohnen sie zusammen. Ein Schwuler in hohen CDU-Partei- und Regierungsämtern? Das ist im Jahr 2015 zwar immer noch nicht völlig selbstverständlich, doch das Erregungspotenzial hat sich merklich gelegt.

Mit seiner Homosexualität geht Spahn nicht hausieren

"Deutschland, das Münsterland und auch die CDU sind in den vergangenen zehn Jahren deutlich offener und gelassener geworden - in vielerlei Hinsicht", sagt Spahn. Sein mediales Outing vor dreieinhalb Jahren war viel mehr dem Zufall geschuldet, als dass es ein kalkulierter Akt war. Ein Reporter der "Süddeutschen Zeitung" hatte - "weil er vermutete, dass das längst rum sei" - in einem Artikel darüber berichtet. Spahn ging und geht mit seiner Homosexualität nicht hausieren.

Im erzkatholischen westlichen Münsterland, nur unweit der niederländischen Grenze, heißt es zwar, man könne auch eine Kuh oder einen Holzklotz bei der Bundestagswahl antreten lassen, solange ein CDU-Parteibuch vorhanden sei. Die Frage, ob die ländlich geprägte Bevölkerung einen offen schwulen Bundestagsabgeordneten akzeptieren würde, stand aber natürlich im Raum. Zudem möchte Spahn nicht auf das Label "schwuler Politiker" reduziert werden.

Geschadet hat Spahn sein Coming-out nicht. Seinen Wahlkreis Borken I/Steinfurt I gewann er seit 2002 viermal direkt. Seine Beliebtheit stieg nicht nur mit seinem politischen Vorankommen vom Hinterbänkler bis zur Regierungsbank, sondern auch, weil er Prominenz in die münsterländische Provinz lockt.

Bei seinen öffentlichen Gesprächsabenden im Ahauser Barock-Wasserschlösschen geben sich hochrangige Vertreter aus Wirtschaft und Politik die Klinke in die Hand. Spahn wechselt dann von der Rolle des Interviewten zum Interviewer.

Alternative zu Laschet?

Einige in der NRW-CDU sehen in dem 35-Jährigen bereits eine Alternative zu Armin Laschet, falls dieser 2017 scheitern sollte. Viele im Wahlkreis haben kein Problem damit, dass Spahn bei Fernsehauftritten zuweilen ruppig, bisweilen sogar arrogant rüberkommt. Gewinnt eines seiner Leib- und Magenthemen in der öffentlichen Wahrnehmung an Bedeutung, dauert es in der Regel nicht lange, bis er unaufgefordert Statements verschickt.

Obgleich als versierter Fachpolitiker anerkannt, hat der CDU-Politiker in der Vergangenheit auch populistische Themen bedient: die Abschaffung der Mehrbettzimmer in Kliniken etwa oder die finanzielle Beteiligung der Eltern von komasaufenden Jugendlichen an deren Behandlungskosten. Dass er sich mit solchen Forderungen würde durchsetzen können, dürfte er wohl selbst nicht geglaubt haben. Sie brachten ihm aber die nötige Aufmerksamkeit.

Lange galt er als Quertreiber - eine Rolle, die er auch als Mitglied der Regierung nur schwer ablegen kann. Im Zuge der Flüchtlingskrise schwang er sich zum Kritiker am Kurs der Kanzlerin auf. "Ich mache mir große Sorgen, denn die gerade erst gewonnene Offenheit Deutschlands kommt gleich von zwei Seiten unter Druck", sagt er nachdenklich. Einerseits befürchte er aufgrund der Sorgen vieler Bürger angesichts der weiterhin steigenden Zahl an Flüchtlingen einen Rechtsruck in der Bevölkerung. "Andererseits kommen Hunderttausende junger Männer zu uns, die in ihrer Heimat oftmals einen wenig zimperlichen Umgang mit Frauen, Juden oder Schwulen erlebt haben."

"Er kritisiert Merkel nur so hart, wie es die Kanzlerin erlaubt."

Zwar dürfte der Kanzlerin die Kritik ihres Staatssekretärs nicht gerade gelegen kommen, am Ende ist er der Chefin gegenüber jedoch immer loyal gewesen. Ein Kollege im CDU-Präsidium witzelt: "Er kritisiert Merkel nur so hart, wie es die Kanzlerin erlaubt." Auch der direkte Vorgesetzte, Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble, lässt seinem Staatssekretär Freiraum.

Aufmerksamkeit bekommt Spahn aber auch durch Auftritte gemeinsam mit seinem Partner. Funke stammt wie Spahn aus kleinstädtischen Verhältnissen - wenn auch aus dem Schwäbischen. Erstmals bewusst in den Blick der Öffentlichkeit rückte Funke beim Wahlkrimi während des Bundesparteitags im vergangenen Jahr.

Entgegen den für die CDU üblichen Friedenswahlen, bei denen nur so viele Kandidaten fürs Präsidium antreten, wie Plätze zu vergeben sind, hatte Spahn mit seiner Kandidatur die Wahl spannend gemacht. Ausgerechnet gegen den Mann musste er sich durchsetzen, der ihm nach den Koalitionsverhandlungen den Wunschjob als Bundesgesundheitsminister weggeschnappt hatte: Hermann Gröhe. Der Niederrheiner zog während des Wahlgangs seine Kandidatur zurück. Spahn siegte. Das Bild, wie er und Funke sich in die Arme fallen, brachte die "Tagesschau" groß.

Nun treten beide öfter zusammen in der Öffentlichkeit auf - ob Händeschütteln mit der Queen oder roter Teppich beim Bundespresseball. Sie genießen es. Regelmäßig geben beide in ihrer Wohnung Abendessen mit Politikern jeglicher Parteizugehörigkeit, Kulturschaffenden und Journalisten. "Ich finde es spannend, unterschiedliche Leute zusammenzubringen", sagt Funke. Geselligkeit, Familie - all dies sind Werte, die für beide eine große Rolle spielen. Gerade erst waren sie bei Spahns Familie in Ottenstein, "um Weihnachten vorzufeiern".

Das Paar wird aufmerksam, als eine Familie mit drei kleinen Kindern an der Krippe anhält. Die Kinder inspizieren die Heilige Familie im Stall. Ob sie sich denn auch vorstellen könnten, irgendwann einmal Kinder aufzuziehen? Spahn und Funke schauen einander an, dann nicken sie: "Ja", sagt Spahn, "schon denkbar, dass wir auch einmal Kinder haben."

(maxi)
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